Gebrauchsanweisung für Schwaben
riesigem Bildungsangebot, mit technisch und landwirtschaftlich geprägten Universitäten, mit Musik- und Medienhochschulen, mit Akademien und Instituten. Viele Ingenieure, Planer, Manager und Tüftler sind hier zu Hause, viele Verlagsleute, Computer- und High-Tech-Spezialisten, eine breite Schicht eines gutbetuchten Bildungsbürgertums. Aber eben nicht die bunten Paradiesvögel der Film- und Fernsehszene. Die tummelt sich, ohne Showgirls und Schickimicki, draußen rund um die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Selbst der Glanz der Musicalstars, ob Sissi oder Elisabeth, dringt kaum über das Phantom der Musical-Oper an der Möhringer Landhauskreuzung hinaus. Rabatz? »Des könnet andere besser«, räumen die Stammtischbrüder ein.
Doch, ja, es gibt eine sündige Meile, verharmlosend »Städtle« genannt. Es gibt Lounges, Bars, Cafés, ja Nachtclubs in dieser angeblichen »Nachtschönheit ohne Nachtleben«. Es gibt eine Kneipenszene für alle Altersklassen, Geschmacks- und Schluckrichtungen, ob für die Pop-Szenegänger an der Theodor-Heuss-Straße, ob für die Abendbummler rund um den Hans-im-Glück-Brunnen. Und doch hatte Heinrich Heine, dieser Spötter, nicht ganz unrecht, als er sagte: »Es ist schwer, in Stuttgart nicht moralisch zu sein.« Oder wenigstens nicht anständig. Aber ist das so schlimm?
Der Kampf ums Imitsch
Das einzige Defizit, das Stuttgart jahrzehntelang plagte, ist das angeblich fehlende »Imitsch«. Statt stolz zu sein auf die Stärken ihrer komfortablen, wohlhabenden Stadt, fühlten die kommunalpolitischen und medialen Sachwalter immer wieder den dunklen Drang, auf masochistische Art nach Schwächen zu suchen. »Ehrlich« nannten das die einen, »selbstzerstörerisch« die anderen. Regelmäßig versuchen seither die Rathausoberen, mit vollmundigen Parolen gegen die angebliche Biederkeit ihrer Stadt anzukämpfen. Als das Motto »Großstadt zwischen Wald und Reben« zu altmodisch klang, beförderte man sich zum »Partner der Welt« und seit neuem zum »Motor Deutschlands«. Schließlich sei Stuttgart ein germanisches Detroit, eine Autostadt also, und das müsse imagemäßig genutzt werden. Na gut, wenn es denn der Profilschärfung dient. Die Stadt wird es überleben, wie einst im »tausendjährigen Reich« den Titel »Stadt der Auslandsdeutschen«, mit dem »deutsche Leistung im Ausland« gewürdigt werden sollte. Vielleicht nehmen auch jene manisch-depressiven Anfälle ab, die sich dadurch äußern, daß sich Stuttgart mal als Global Player, mal als tiefste Provinz fühlt. Wie schrieb vor einiger Zeit ein Stuttgarter Journalist: »Wir bleiben, wie wir sind: kleinkariert, humorlos, engstirnig, dickköpfig, besserwisserisch, kompromißlos.« Das war natürlich ironisch gemeint, nur haben es viele Leser nicht verstanden. So bestätigen sich Vorurteile, fälschlicherweise.
Dabei hat Stuttgart allen Grund, ein gesundes Selbstbewußtsein zu zeigen. Gut, man wurde 1949 nicht Bundeshauptstadt. Gut, man hat sich bei der letzten Olympiabewerbung mit einem faden Film und einem faden Oberbürgermeister-Auftritt blamiert. Gut, man hat kein Hofbräuhaus und keine Stadthymne. Aber sonst? Stuttgart hat, rechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006, einen regelrechten Investitions- und Attraktionsschub erlebt. Was wurde da nicht alles eröffnet und eingeweiht! Der Glaswürfel des neuen Kunstmuseums am Schloßplatz. Das architektonisch an eine Doppelhelix gemahnende Mercedes-Museum in Untertürkheim, ein Sternen-Himmel mit 160 hochglänzenden Oldtimern vom Prinz-Heinrich-Wagen über den Silberpfeil bis zum Papamobil. Die Porsche-Arena, die das Gottlieb-Daimler-Stadion und die große Hanns-Martin-Schleyer-Halle drunten auf dem Cannstatter Wasen – pardon: im Neckar-Park – ergänzt. Das Carl-Benz-Center samt seiner »VfB-Welt« ebendort. Alles in allem Investitionen von rund 500 Millionen Euro. Ein vom WM-Jubel in »Deutschlands schönster Fankurve« begeisterter Oberbürgermeister Schuster wähnte sich noch erfolgreicher als das Klinsmann-Team: »Wir waren schon Weltmeister, bevor das Fußballturnier angefangen hat.«
Rund um diese Novitäten gruppiert sich eine Stadt voller Geld und Ideen, voller Besserverdienenden und deren Kaufkraft, voller Literatur und Kunst, voller technischer Intelligenz. Und mit einem begeisterungsfähigen Publikum. Der langjährige Intendant der Stuttgarter Staatsoper, Klaus Zehelein, hat es so beschrieben: »Es ist kein Publikum der vorschnellen Reaktionen auf das,
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