Gebrauchsanweisung für Schwaben
was es hört oder sieht. Es kann warten.« Doch wenn es einmal in Fahrt ist, kennt die Begeisterung kaum Grenzen. Dafür gab es rund um den Globus hohes Lob und Auszeichnungen. Nicht nur Künstler aus allen Erdteilen gastieren gern am Nesenbach. Auch Athleten aller Sparten, ob Kicker, Sprinter, Turner, Radler oder Tenniscracks, kommen gern an den Neckar, zu Welt- oder Europameisterschaften und ebenso zu dem weltweit renommierten Porsche-Damen-Tennis-Grand-Prix – auch der Gastfreundschaft wegen. Da ist es schon fast logisch, daß sich Stuttgart im Jahr 2007 mit dem Ehrentitel »Europäische Sporthauptstadt« schmücken darf.
Nein, bisher ist das niemand zu Kopfe gestiegen, niemand ist größenwahnsinnig geworden. Im Gegenteil, man bleibt beim landesüblichen Understatement. »Hier kann man seine Kleider auftragen«, hat Alt-Oberbürgermeister Manfred Rommel trocken festgestellt und damit angedeutet, daß in Sachen Präsentation und Mode eine angenehme Nonchalance herrsche. Mit häufig wechselnden, nicht immer dem letzten Schrei entsprechenden Kopfbedeckungen vom Pepita-Hut bis zur Basken- oder Baseballmütze hat er dafür den Beweis angetreten. Außerdem haben Psychologen herausgefunden, daß die Stuttgarter Männer zu den glücklichsten der Republik zählen. Nicht nur der schönen Schwabenmädle wegen oder weil auf der Königstraße keine Krawattenpflicht herrscht. Sondern wegen des milden, südlichen Klimas, das sich psychisch wie hormonell positiv auswirkt. Kein Wunder, daß Casanova, der große Liebhaber und Falschspieler, diesen Ort seinerzeit nur unfreiwillig verlassen hat.
Daß trotzdem nicht immer eitel Sonnenschein herrscht, liegt daran, daß Stuttgart von lauter lieben Freunden umgeben ist. Die Cannstatter Vorstädter rühmen sich ihrer römischen Tradition. Die Esslinger Reichsstädter führten einst zusammen mit dem Kaiser Krieg gegen Stuttgart und sind noch heute böse, daß die Stuttgarter als Rache den Esslinger Wengertern die Reben und den Esslinger Töchtern die Röcke abgeschnitten haben. Ludwigsburg, diese zur Herzogskurtisane geronnene Stadt, avancierte zum Hauptwaffenplatz des Landes und zur zeitweiligen Residenz. Die Leonberger rühmen sich des ersten Landtages von 1457, die Sindelfinger ihrer inzwischen verblichenen Marmor-Überwege; die Tübinger nennen sich wegen ihrer älteren und berühmteren Universität und wegen der württembergischen Grablege in der Stiftskirche »heimliche Hauptstadt«. Die Waiblinger (»Ghibellinen«) sind stolz auf ihre Staufer-Tradition. Die Heilbronner pflegen ihre eigene Frankenregion. Der Landtag verweigert seiner an Fläche armen Landeshauptstadt jeglichen Zuwachs. Und selbst das Regionalparlament, jene direkt gewählte, zentralschwäbische Abgeordnetenkammer, wagt Stuttgart nicht allzu hilfreich unter die Arme zu greifen. Dazu sitzen zu viele Nachbarbürgermeister und Provinzfürsten in der Versammlung, die eifersüchtig ihre Pfründen bewachen.
Manfred Rommel, der Philosoph und einstige Oberbürgermeister, hat diese Antihaltung entschuldigt: »Es ist die Pflicht jedes ordentlichen Schwaben, gegen Stuttgart zu sein.« Andere, wie die Popband Schwoißfuaß, drückten das härter aus: »Oiner isch emmer dr Arsch.« So manches Mal haben die Stuttgarter das Gefühl, sie hätten diese Rolle gepachtet. Aber sie sind es gewöhnt. Und sie haben eine Entschuldigung dafür: die bereits erwähnte Topographie. Die ist an allem schuld.
Denn die »Stadt im Tale« ist von draußen her mangels hochragender Gebäude wie eines Doms oder Münsters – siehe Köln, siehe Ulm – schlicht nicht präsent. Von optischer Dominanz keine Rede. Die drinnen können, wie Friedrich Theodor Vischer sagte, »oben nicht nausgucken«, die draußen können, der Hügel wegen, nicht hineinsehen. Soviel aber wissen sie: In der Hauptstadt sitzt die Obrigkeit, ob einst die absolutistische, ob heute die demokratisch legitimierte. Hier sitzen die Behörden, die Gerichte, die Finanzämter. Da geht man nur hin, wenn man muß. Und das auch noch in unterschiedliche Richtungen. Der Göppinger oder der Filderbewohner geht nach Stuttgart hinunter, also nonder, der Cannstatter hinauf, also nuff, der Ludwigsburger hinein, also nei. Und die Degerlocher sitzen seit Menschengedenken droben über der Alten Weinsteige und nehmen übel: »Do dronta liegt die fett Sau und frißt onsere Steura.«
Man sieht, es geht, trotz aller Urbanität, an manchen Ecken der Stadt recht schwäbisch zu. Doch wenn alle
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