Gebrauchsanweisung für Schwaben
Rivalitäten ausgefochten, wenn alle gutnachbarlichen Hakeleien durchgestanden sind, dann geht man wieder schiedlich-friedlich miteinander um. Vorausgesetzt, der VfB, den alle liebhaben, wenn er siegt, gewinnt tatsächlich. Dann sind die draußen zufrieden. Und die Stuttgarter freuen sich über das Privileg, in ihrer schönen, reichen Stadt leben zu dürfen – zwischen Solledi, wie das Schloß Solitude genannt wird, und dem Wirrdabärg, auf dem das Mausoleum für die noch heute verehrte, aus Rußland stammende Königin Katharina thront. Darauf können alle ihr Glas heben: »G’sundheit, Herr Nachbar«.
Schwäbischer Geist
Die Bewohner Schwabens haben die Eigenart, menschliche Fähigkeiten an den dafür zuständigen Körperteilen festzumachen. Dabei geht es schicklich zu, versteht sich. Von einem, der kräftig ausschreiten, also »weidle laufen« kann, heißt es, er habe es »in de Füß«. Wer ein rechter Schaffer ist, hat es »in de Ärm«, was eine kräftige Portion Armschmalz voraussetzt. Und von gebildeten Menschen wird respektvoll gesagt, sie hätten es »im Kopf«, was wiederum auf ein gerüttelt Maß an Hirnschmalz tippen läßt. Für solche Leute hat der Volksmund ein paar Ehrenbezeichnungen parat: G’scheidle oder Röhrle heißen sie wahlweise, gegebenenfalls auch Fäßle oder Käpsele. Solche geistigen Käpsele, die freilich nicht mit den Knallplättchen für Spielzeugpistolen zu verwechseln sind, treten im Württembergischen überdurchschnittlich häufig auf.
An dieser Stelle muß zwangsläufig jener Vers zitiert werden, der einmal als »der arroganteste Reim« aller Zeiten bezeichnet wurde. Es geht um den Vers des Lyrikers Eduard Paulus (1837 bis 1907) aus Stuttgart. Der Wortlaut: »Der Schelling und der Hegel, der Schiller und der Hauff, die sind bei uns die Regel, die fallen gar nicht auf.«
Zu diesen Zeilen ist zweierlei zu sagen. Erstens, daß sie öfters umgedichtet wurden – mal rückt Schiller auf den Platz des Philosophen Schelling, mal tritt auch Uhland auf. Aber darauf kommt es weniger an, wir haben nun einmal die reichhaltige Auswahl. Wichtiger ist, zweitens, der Hinweis darauf, daß Eduard Paulus einer jener Schwaben war, denen gelegentlich der Schalk der Selbstironie im Nacken saß. Deshalb ist sein Poem alles andere als arrogant, was man schon an der vorangehenden Strophe erkennen kann: »Wir sind das Volk der Dichter, / ein jeder dichten kann, / man seh’ nur die Gesichter / von unser einem an.« Dickköpfe, Quadratschädel, Hommelesköpf eben.
Dabei ist das mit den Dichtern ja nicht so falsch. Schon in der Schwäbischen Literaturgeschichte des Stuttgarters Rudolf Krauß, erschienen im Jahr des Herrn 1897, heißt es: »Unter den zahlreichen Schwaben, die durch edlere Veranlagung und höhere Begabung über das Durchschnittsmaß hervorragen, ist die Klasse der Poeten besonders stark vertreten.« Denn, so fährt Krauß fort: »Hoher Flug der Phantasie und Tiefe des Empfindens, Ausdauer im Denken und Hang zum Träumen sind ja bei diesem Stamme heimisch.«
Hoher Flug der Phantasie? Wohl wahr. Aber eben weniger beim Malen und Bildhauern, beim Tanzen und Schauspielern als in der Literatur. Deshalb avancierte Stuttgart früh zur Dichter- und Verlagsstadt und erst viel später zu einem Theater- und Ballettmekka. Der Grund dafür liegt in der Reformation und in Martin Luthers Grundsatz: »Sola scriptura« – »Allein die Schrift«. Sänger, Tänzer und andere Spaßmacher konnten sich die vergnügungssüchtigen Herzöge kostengünstig aus dem Ausland besorgen – aus Frankreich und Italien, beispielsweise. Aber die Schriftsteller und Dichter, die gediehen zu Hause: im Evangelischen Stift zu Tübingen, diesem berühmten Gewächshaus für Generationen schwäbischer Pfarrer, später in den Pfarrhäusern selbst, und, wie Friedrich Schiller beweist, auch in der Hohen Karlsschule, dieser frühen Gesamthochschule des Herzogs Karl Eugen. Hier wie dort wurden anfangs heiligenmäßige, also fromme Lieder geschrieben, danach aber auch revolutionäre Reime deklamiert und verbreitet. Kaum ein Geistesblitz, ob Philosoph oder Literat, der nicht diesen kulturellen Brutkästen entsprungen wäre.
Pfarrhäusler und Stiftsköpfe
Das schwäbische Pfarrhaus war also nicht nur für seinen Kindersegen bekannt, sondern auch für seine Funktion als geistige Brutstätte. Dabei beschränkten sich die Insassen dieser meist geräumigen Fachwerkbauten nicht nur auf das Abfassen von Predigten. Sie sattelten
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