Gebrochene Versprechen
wir fahren zu mir, damit Luther sich ausruhen kann«, entschied sie.
Das war Luther zwar neu, aber er hatte keine Lust, ihr zu widersprechen. Außerdem interessierte es ihn, wie Hannah lebte.
Als er nach einem Stift griff, schaute Newman kurz zu Luther herüber. Dann gab er Hannah einen gelben Zettel, auf dem zwei Namen standen. »Gib sie Irma«, instruierte er sie. »Galworth und Stone erwarten euch auf dem Parkplatz. Ihr könnt sie nicht übersehen.«
Hannah beugte sich über den Schreibtisch, nahm das Post-it entgegen und küsste ihren Onkel auf die Wange. »Danke, dass du dich so um mich kümmerst«, flüsterte sie ihm zu.
Newman hielt den Zettel einen Moment länger fest als nötig. »Du bedeutest mir alles, mein Herz«, murmelte er leise. »Pass bitte auf dich auf.«
»Mache ich. Versprochen.«
Luther quälte sich aus dem Sessel, ehe Hannah ihm helfen konnte und ihn damit vollkommen unbrauchbar aussehen ließ.
»Noch einmal vielen Dank«, rief Newman ihnen auf dem Weg zur Tür hinterher. Luther hob zum Abschied die Hand.
»Schaffst du’s bis zu meinem Büro?«, erkundigte sich Hannah.
»Glaube schon.«
Sie hakte ihn wie zuvor unter, gab Irma den gelben Zettel und geleitete ihn hiernach vorsichtig zum Aufzug.
Sie fuhren in den dritten Stock, wo Hannah sie durch einen Gang führte, in dem es vor Betriebsamkeit rumorte. Die gesamte Etage war in Arbeitskabinen aufgeteilt, die sie nun nach und nach passierten. Im Vorbeigehen konnte Luther die Analysten dabei beobachten, wie sie auf Tastaturen tippten, Informationen kopierten oder in Akten blätterten. Kein Wunder, dass Hannah es nicht erwarten konnte, ihren Job hier an den Nagel zu hängen. An diesem Ort war sie definitiv falsch aufgehoben.
»Wir sind da«, sagte sie und blieb vor einer Kabine fast am Ende des Gangs stehen. »Seht ihr, wie gründlich Ernies Hälfte aufgeräumt worden ist?«
»Von Anzugträgern«, erinnerte sich Luther, dem nach dem Marsch zu ihrem Arbeitsplatz der Schweiß auf der Stirn stand.
»Ich habe mich nicht getraut zu fragen, von wem sein Büro geräumt worden ist«, gestand sie. »Aber ich hatte so ein Gefühl. Als wollten sie nicht, dass Ernies Entdeckungen weiter nachgegangen wird.« Sie schaltete ihr Faxgerät ein. Es piepste und summte erst einige Male, bevor es schließlich Papier auswarf.
Luther beobachtete Hannah, neugierig, was sie dort gerade tat.
»Ich habe eine Kopie von Ernies Notizbuch an mich selbst gefaxt. Sie war die ganze Zeit über im Speicher.«
»Gute Idee«, meinte er zufrieden, war über ihren cleveren Einfall jedoch nicht weiter überrascht.
»Die Kopie, also die Faxvorlage, ist schließlich in den Aktenvernichter gewandert«, ergänzte Hannah und tätschelte das Gerät. »Valentinos Männer dürften bei der Durchsuchung meines Arbeitsplatzes also höchstens die zerkleinerten Reste von ihr entdeckt haben.«
»Wir müssen los«, drängte Westy.
Luther sah in seine Richtung. Der Chief bedeutete ihm mit den Augen, zur Decke aufzuschauen. Luther tat, wie ihm geheißen, und entdeckte, was Westy ihm hatte mitteilen wollen: Die Linse einer Überwachungskamera, die unauffällig in die Deckenplatte eingelassen worden war. »Bist du dann so weit, Hannah?«, fragte Luther. Die Kamera störte ihn nicht so sehr wie Westy. Was machte es schon, wenn Newman sie beobachtete? Es war nicht zu übersehen gewesen, dass ihm Hannahs Wohl am Herzen lag. Er bot zu ihrem Schutz sogar seine eigenen Leibwächter auf. Jetzt, da vier Augenpaare sie im Blick behielten und Valentino das Individuum in Gewahrsam hatte, war Hannah wahrscheinlich sicherer, als sie es jemals wieder in ihrem Leben sein würde.
13
Alexandria, Virginia
28. September, 18 Uhr 26
Hannah hatte ihr Schlafzimmer abgetreten, damit Luther sich ausruhen konnte. Es war nun bereits mehrere Stunden her, dass sie den blassen SEAL die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufbegleitet und ihn ins Bett verfrachtet hatte.
Als sie zur Abendbrotzeit mit einem Essenstablett bestückt nach ihm sah, überkam sie ein seltsames Gefühl. Sie fand ihn fest schlafend und quer auf ihrem Bett liegend vor, damit er sich am Fußende nicht die Zehen stieß. Die Dielen des alten Holzfußbodens ihres Reihenhauses knarrten unter ihren Füßen, während sie das Bett umrundete, um ihn sich anzusehen.
Er hatte vom frühen Nachmittag an bis zur Dämmerung geschlafen. Die Abendsonne schien bereits goldglänzend durch die Jalousien und ließ das zarte Violett des Oberbetts intensiv leuchten. Im
Weitere Kostenlose Bücher