Gebrochene Versprechen
Onkel Caleb gegenüber endlich eingelöst wäre. Um sich von ihrer öden Schreibtischarbeit abzulenken, hatte sie von jenen Abenteuern geträumt, die sie erwarten würden, wenn sie endlich frei sein, sich in der Welt umtun, ihre Fähigkeiten bei der Informationsbeschaffung einsetzen und in die Fußstapfen ihres Vaters treten könnte.
Nicht ein Mal hatte sie in dieser Zeit daran gedacht, sich zu verlieben, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Im Leben nicht! Das war das Allerletzte, was sie sich erträumt hatte. Warum also wurde ihr vor Bedauern das Herz so schwer? Sie würde nicht von ihren Plänen abweichen, nicht für Luther und auch für sonst niemanden.
Ein tiefes, beklemmendes Schweigen machte sich zwischen ihnen breit.
»Es ist schon irgendwie komisch, findest du nicht auch?«, fuhr Luther in bitterem Tonfall fort.
»Was denn?«, fragte sie mit erstickter Stimme.
»Dass wir uns einerseits so sehr ähneln, andererseits aber komplett unterschiedlich sind.«
Seine Worte führten dazu, dass ihre Augen zu brennen begannen. Um etwas sagen zu können, musste sie erst einmal schlucken. »Ja«, pflichtete sie ihm schließlich bei und versuchte, möglichst locker zu klingen. Nur mit Mühe gelang es ihr, ihm den Rücken zuzukehren. Am liebsten hätte sie sich jedoch in seine Arme geworfen und geheult.
Warum tat ihr das Schicksal so etwas an – und ließ den perfekten Mann in jenem Moment in ihrem Leben auftauchen, in dem sie ihn überhaupt nicht gebrauchen konnte? Zuerst hatte sie sich nur mit ihm wohlgefühlt, es war wie mit einem ausgelatschten Schuh. Doch später hatte sie bemerkt, wie intelligent, loyal und scharfsinnig er war. Sie verbrachte sehr gern Zeit mit ihm und wollte ihn nun keinesfalls verlieren.
Aber es lief zwangsläufig darauf hinaus, da Luthers und ihre Träume sie in verschiedene Richtungen dirigierten. Ihrer beider Wege würden sich niemals wieder kreuzen.
Eine heiße Träne rann aus Hannahs Augenwinkel und tropfte aufs Kissen. Sie wollte sich nicht eingestehen, dass es hier um Liebe ging. Denn dann würde ihr der Abschied, wenn es erst so weit war, nur umso schwerer fallen. Aber eines wusste sie genau – sie hatte schon sehr viel mehr in diese Beziehung investiert, als gut für sie war.
Rafael Valentino schob den elektronischen Schlüssel ins Schloss des exklusiven Apartments in Vienna, das sich leise klickend öffnete.
In Rafes Apartment herrschte absolute Stille. Wie in einem Grab, kam es ihm in den Sinn, und er verdrängte den Gedanken an die Familiengruft auf dem Friedhof St. Raymond.
Es war nicht gut, an die Toten zu denken. Er sollte sich lieber den Trubel in Erinnerung rufen, der ihn erwartet hatte, wann immer er nach einer langen Schicht im New York Police Department nach Hause gekommen war. Seine Frau Teresa hatte die Kinder aus dem Bad ins Bett getrieben, indem sie sie mit kleinen Drohungen gefügig gemacht hatte. Dabei war sie stets die Lauteste von allen gewesen , dachte er und verzog den Mund zu einem traurigen Lächeln.
Er ließ die Wohnungstür zufallen. Sie schloss sich mit einem leisen Luftzug, der mit einem gedämpften Klicken endete. Wieder war alles still .
Er machte kein Licht, weil er die Geister nicht verjagen wollte, die ihn umschwirrten und sich hinter seinen Beinen versteckten, um ihrer schimpfenden Mutter zu entgehen. Auch nach drei langen Jahren konnte er noch immer ihre Stimmen unterscheiden. Das Lachen des Kleinsten, Emanuel, war so ansteckend gewesen, dass niemand es hatte hören können, ohne selbst zumindest grinsen zu müssen. Serena, die Vierjährige, hatte Tonhöhen getroffen, bei denen Glas zersprang, und große Ähnlichkeit mit ihrer Mutter gehabt. Und der dreizehnjährige Tito, ganz der Vater, war gerade in den Stimmbruch gekommen, als …
Rafe schaltete das Licht ein, um nicht an jenen Tag denken zu müssen, an dem er ihre toten Körper gefunden hatte – sogar die Leiche des Kleinsten. Alle waren sie mit Kopfschüssen niedergestreckt worden.
Hatte er denn wirklich geglaubt, die beiden mächtigsten Männer innerhalb der Mafia einsperren zu können, ohne dafür bestraft zu werden? Der Preis für sein Handeln war dermaßen grausam, dass er sich jeden Morgen von Neuem fragte, warum er überhaupt noch aufstand.
Das Licht, das nun sein möbliertes Wohnzimmer durchflutete, ließ die Geister seiner Familie verschwinden. Rafes Magen knurrte, was ihn daran erinnerte, das Mittagessen ausgelassen zu haben – mal wieder. Er trat in die
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