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Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln

Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln

Titel: Gedankenlesen durch Schneckenstreicheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W Gruber
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gern machen, schmeckt gut, hebt die Stimmung und kann sozial gewinnbringend sein, nur übers Lernen weiß man dadurch noch nicht mehr. Weder durch die eingebrachte Mikroelektrode noch den eingebrachten Schaumwein.
    Wie funktioniert also Lernen? Die Grundformen des Lernens sind Habituation, Sensitivierung und Konditionierung. Normalerweise gibt es eine eindeutige Reaktion mittlerer Stärke auf einen Reiz. Durch die Habituation (Abschwächung) kann die Reaktion abgeschwächt, durch die Sensitivierung (Verstärkung) die darauffolgende Reaktion verstärkt werden. Für viele Lebewesen ist es wichtig, einzelne Reize beurteilen zu können. Was ist gefährlich, was ist nützlich, was ist egal? Die Beurteilung bestimmt die Reaktion. Manchmal ändert sich im Laufe der Zeit die Beurteilung eines Reizes. Durch diese Lernform kann in geeigneter Weise auf eine veränderte Umwelt reagiert werden.
    In vielen Gegenden werden beispielsweise jeden Samstag um zwölf Uhr mittags die Alarmsirenen getestet. Eine Person, die aus einem Kriegsgebiet geflüchtet ist und das zum ersten Mal erlebt, wird vielleicht mit Anspannung reagieren, weil sie mit dem Geräusch ein traumatisches Erlebnis verknüpft. Und wenn wenig später ein Knall ertönt, und sei es nur die Fehlzündung eines Verbrennungsmotors, dann wird ihre Reaktion möglicherweise heftiger sein als notwendig: Sie schreit, geht in Deckung, verfällt in Panik. Hier spricht man von Sensitivierung. Durch den Sirenenton wird ein unangenehmer Reiz ausgelöst – beziehungsweise vorbereitet. Erst wenn es dann etwas später knallt, setzt die volle Reaktion sehr heftig ein.
    Wer hingegen schon seit Jahren in so einer Gegend wohnt, der ist durch die Sirene nicht mehr aus der Ruhe zu bringen und denkt sich höchstens: „Aha, schon zwölf Uhr“. Das wäre eine Habituation. Wenn dabei aber auch sein Magen zu knurren beginnt, weil der Gastrointestinaltrakt ebenfalls weiß, dass es Samstag immer kurz nach zwölf Uhr Mittagessen gibt, hat eine Konditionierung stattgefunden. Dann kann es sein, dass der Magen später am Nachmittag, obwohl keine Mahlzeit bevorsteht, wieder zu knurren beginnt, wenn die Feuerwehrsirene wegen eines Notfalls außertourlich noch einmal losheult. *
    Die samstägliche Sirenenprobe der Aplysia heißt Kiemenrückziehreflex. Wenn die Aplysia am Siphon gereizt wird, in unserem Fall durch ein leichtes Streicheln, zieht sie ihre Kiemen ein. Der Siphon ist die Austrittsöffnung am hinteren Ende der Schnecke. Der Kiemenrückziehreflex wird ausgelöst, um die Kiemen vor einem möglichen schädlichen Reiz zu schützen. Das macht die Schnecke ganz automatisch, ohne lang zu fragen, wer warum streichelt und ob er sich davor die Hände gewaschen hat, es handelt sich um einen angeborenen Reflex. Reizt man aber den Siphon zehnmal jeweils mit rund 30 Sekunden Pause, dann verschwindet der Reflex für rund zwei bis drei Stunden. Die Schnecke hat gelernt, dass nichts Wichtiges passiert, wenn sie am Siphon gestreichelt wird. Wenn man mit dem Streicheln aufhört, kommt auch allmählich der Reflex wieder. Die Aplysia besitzt aber auch ein Langzeitgedächtnis. Der Kiemenrückziehreflex kann nämlich für bis zu drei Wochen ausgeschaltet werden, wenn man mit dem Streicheln einfach nicht aufhört. Das heißt dann Langzeithabituation.
    Das Sensationelle dabei: Kandel konnte zeigen, dass sich dabei einzelne Synapsen zurückbilden. Tiere, die das Streicheln nicht mehr aus der Ruhe bringen konnte, wiesen 35 Prozent weniger Synapsen auf als nicht habituierte Tiere. Das Match Habituierte gegen Nichthabituierte endete mit 840 Synapsen zu 1.300 Synapsen für die Auswärtsmannschaft. Nur vier Trainingsdurchläufe mit je zehn Berührungsreizen verteilt über vier Tage führten zu tief greifenden morphologischen Veränderungen. Und wenn das große Streicheln zu Ende war, kehrten die zurückgebildeten Synapsen wieder, und alles war wie davor. Eric Kandel konnte den Lernerfolg im Gehirn der Aplysia an den Neuronen sehen und messen. Lernen bedeutet einen molekularen Umbau des Gehirns. Gedanken verändern also vielleicht nicht sofort die Welt, aber sie verändern das Gehirn. Schlicht, indem sie gedacht werden. Egal ob beim Seehasen oder beim Menschen. Gleichgültig, ob es sich um schlaue oder schlichte Gedanken handelt. Der Gedanke „In der String-Theorie gibt es elf Dimensionen“ hinterlässt gleichermaßen Spuren im Gehirn wie „Öha, aus meiner Badehose schaut ein Ei heraus“. Gedanken verändern den

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