Gedankenmörder (German Edition)
sagte?»
«Na, das Übliche», antwortete der Mann gedehnt.
«Sagen Sie es mir», forderte ihn Petersen auf.
Der Feuerwehrmann musste nicht überlegen. «Na, alles wird gut. Gleich ist der Arzt da. Morgen sieht die Welt wieder anders aus. Diesen ganzen Scheiß, den man sagt, wenn man weiß, dass jemand keine Chance mehr hat.»
Plötzlich wirkte der Mann um Jahre gealtert. Einen Moment tat er Petersen leid.
«Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen», sagte sie freundlich und zog sich ihre Jacke an.
«Und was ist mit unserem gemeinsamen Essen?», rief ihr der Mann hinterher.
«Wenn Sie wüssten, was der Typ mit Ihrem Unfallopfer gemacht hat, würde Ihnen der Appetit vergehen», antwortete Petersen und ließ die Tür hinter sich zufallen.
Dann besann sie sich, ging noch einmal in den Raum und drückte dem verblüfften Mann ihre Visitenkarte in die Hand.
«Wenn Ihnen noch was einfällt, dann dürfen Sie mich anrufen.»
Sie machte eine kleine Pause. «Aber damit das klar ist: nur dann. Ach ja – und schönen Gruß an Ihre Frau.»
Als Petersen die Tür zu ihrem Büro im Präsidium aufmachte, klingelte das Telefon. Kommissariatsleiter Bernd Tewes war dran. «Endlich erreiche ich einen von euch.» Seine Stimme klang vorwurfsvoll. «Die Eltern von Birgit Lange sind gerade in Bremen gelandet. Sie werden jeden Moment im Präsidium eintreffen. Jemand muss mit ihnen reden. Wo stecken eigentlich Steenhoff und Wessel?»
«Wenn ihre Handys abgeschaltet sind, vermute ich, dass beide im Krankenhaus sind», entgegnete Petersen. «Sie können die Eltern zu mir schicken. Ich werde mich um sie kümmern», sagte sie ruhig.
Tatsächlich hatte ihr die Nachricht einen heftigen Stich versetzt. Schnell ging sie in Gedanken durch, was sie den Eltern erzählen dürfte. Hatten sie ein Recht darauf, alle Einzelheiten zu erfahren? Was, wenn sie nachhakten? Plötzlich kam ihr das grotesk geschminkte Gesicht der jungen Frau in der Pathologie in den Sinn und der Besenstiel, der aus ihrem Unterleib ragte. Sie würde den Eltern einen Kaffee oder einen Tee anbieten, sie hinhalten, bis einer der erfahreneren Kollegen wieder da war und ein wenig über Amerika reden.
«Quatsch», entfuhr es ihr plötzlich laut. Die Eltern hatten irgendwo in den USA die schreckliche Nachricht vom Tod ihrer Tochter erhalten und sich ins nächste Flugzeug nach Deutschland gesetzt. Geradezu lächerlich die Vorstellung, sie könnte die beiden auf Urlaubserlebnisse ansprechen und damit ablenken. Im Leben der Eltern würde es fortan nur noch einen Gedanken geben: Warum gerade unsere Tochter?
Der Anruf der Pförtnerin am Eingangstor des Präsidiums riss sie aus ihren Gedanken. «Die Eltern einer Frau Lange sind hier. Herr Tewes sagt, ich solle sie zu Ihnen schicken.»
«Ja, sagen Sie ihnen bitte, dass ich vor dem Gebäude auf sie warte», sagte Navideh Petersen.
Im Hinausgehen fiel ihr Blick auf die Pinnwand, die Steenhoff an der Wand befestigt hatte. Neben vielen Zetteln hatten ihre Kollegen die Fotos von Birgit Lange aus der Pathologie und aus der Wohnung des Opfers aufgehängt. Eine Großaufnahme zeigte den zu Tode gequälten Pepe, den Wellensittich des Opfers.
Petersen nahm schnell die Pinnwand ab, drehte sie um und stellte sie vor die Heizung. Dann ging sie den Eltern entgegen, damit sie sich auf dem weitläufigen Gelände des Präsidiums nicht verliefen.
Schon von weitem erkannte sie die beiden. Sie winkte dem Paar zu, das daraufhin direkt auf sie zuging. Die Eltern von Birgit Lange waren im Gegensatz zu ihrer etwas pummeligen Tochter schlank, fast sehnig und schienen viel Sport zu treiben. Auf den ersten Blick wirkten die beiden braun gebrannten Menschen gut erholt. Doch als sie näher kamen, war ihre Verzweiflung fast mit den Händen zu greifen.
«Herbert Lange. Meine Frau Christine», der Mann ergriff als Erster das Wort.
Seine Frau nickte nur stumm. Ihre geröteten Augen verrieten, dass sie in den vergangenen Stunden viel geweint hatte. Petersen sprach beiden ihr Beileid aus und bat sie in den dritten Stock mit hinauf. Im Flur begegneten ihr zwei Kollegen. Doch die üblichen, flapsigen Sprüche blieben aus. Sie waren alle lange genug dabei, um intuitiv zu spüren, dass das Paar, das ihnen entgegenkam, sich am Rande seiner Beherrschung befand.
Petersen bot den Eltern Tee und Wasser an. Beides nahm Frau Lange dankbar an. Ihr Mann schüttelte nur den Kopf. Die Kommissarin schloss die Tür des Büros. Als sie sich wieder umdrehte, spürte sie
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