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Gedichte (Ausgabe 1898)

Gedichte (Ausgabe 1898)

Titel: Gedichte (Ausgabe 1898) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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sitzt,
    Er sieht das Zepter nur der halben Welt,
    Das jener spielend fast in Händen hält,
    Und zitternd nach des Glückes gleicher Huld,
    Ruft er sich selber zu: »Geduld, Geduld!«
     
    So aber denken nicht die schlanken Schönen,
    Die leicht hinschweben auf den leichten Tönen,
    Mit Blüten sind die Blühenden geschmückt,
    Wie wenn man Rosen noch auf Rosen drückt,
    Und schier, als wär' die Gabe zu genießen
    Selbst nur ein stundenkurzes Blütensprießen,
    So jagt man hin voll fieberhafter Hast,
    In ew'ger Furcht, die Stunde sei verpaßt.
     
    Ich tanze nicht
– im Durst nach Luft und Frische
    Tret' ich seitab in eines Fensters Nische,
    Und hinter mir jetzt all den Saus und Braus,
    Blick' ich, aufatmend, in die Nacht hinaus.
    Die lagert draußen schwarz und schwer und dicht,
    Mit Eifersucht-umfinstertem Gesicht,
    Und in des Saales Glanz und Pracht und Schein
    Starrt wie der Tod ins Leben sie hinein.
     
    Doch lauter immer wird das laute Treiben,
    Fest drück' die Stirn ich an die feuchten Scheiben,
    Da ist es mir, als ob mein Ohr es träf':
    »Kennst du den Platz da drauß? Kennst du ›La Grève‹?«
     
    La Grève! wie kalt das Wort mich überlief
    Und nächt'ge Tat vor meine Seele rief;
    La Grève! wo Haß nur, der nach Rache schnob,
    Der Freiheit Zerrbild aus der Taufe hob;
    La Grève! wo man von Menschenliebe schwur,
    Wenn Mal auf Mal das Beil herniederfuhr;
    La Grève! wo Blut aus so viel Quellen floß,
    Daß es – ein Strom sich in den Strom ergoß.
     
    Und mir im Rücken jetzt erbraust es wilder,
    Vor meinen Augen aber grelle Bilder
    Der Greuel all, die ringsumher geschehn,
    Läßt mich die Nacht auf dunklem Grunde sehn.
     
    Horch! Weiberstimmen durch die Lüfte kreischen;
    Das sind sie selbst; in Wollust, zu zerfleischen,
    Hat ihres Fleisches Wollust sich verkehrt,
    Blut heißt jetzt, was die Sinnlichkeit begehrt.
    Manch eine trägt den Säugling an der Brust,
    Doch nirgends einer Mutter stille Lust,
    Mit aufgelöstem Haar, halbnackt die Leiber,
    So ziehn vorbei mir die Versailler Weiber.
    Und jetzt, verhallt kaum ist ihr Schrei nach Brot,
    Da naht ein zweiter Zug,
den
führt der Tod,
    Er zieht als Mordgesell' dem Zug vorauf
    Und trägt zwei Stangen und zwei Köpfe drauf;
    Wild heulend folgen aus den Rhône-Landen
    Die Lyoneser und Marseiller Banden,
    Siegtrunken noch vom Sturm der Tuilerien
    Seh' ich die Blut'gen mir vorüberziehn.
     
    Vorbei, vorbei! Jetzt aber Trommelklang,
    So dumpf, so hohl – das ist ein Sterbegang;
    Schon um den Platz wie eine Eisenkette
    Legt sich der spitze Wald der Bajonette,
    Und rasch, in Nacht herauf, steigt das Schafott,
    Vom Volk umtanzt in widerlichem Spott.
    Zwei Männer schreiten herwärts, beide still,
    Es winkt des Priesters Hand, die segnen will,
    Und machtvoll übertönt es das Gewimmel:
    »
Des heil'gen Ludwig Sohn, steig' auf gen Himmel!
«
     
    Ein Beilesblitz (mein Auge schließt sich bang);
    Da hinter mir aufschreckt mich Beckenklang,
    Und aus der Nische fort und ihrer Nacht
    Tret' ich zurück jetzt in die Saalespracht.
     
    Drin wogt es noch. Auf Klängen der Musik
    Schwebt nach wie vor der Glanz der Republik,
    Noch immer senken taktvoll sich und steigen
    Die Walzerpaare nach dem Strich der Geigen,
    Noch immer aus des Contretanzes Touren
    Erblühen Arabesken und Figuren,
    Und immer noch, rasch wie Gewitterhusch,
    Braust der Galopp her im Orchestertusch.
     
    Wohl! rings dasselbe Tun noch und Beginnen,
    Ich aber jetzt, mit nachtgeschärften Sinnen,
    Schau' durch das Maskenwerk und seinen Schein
    Tief in das Herz der Wirklichkeit hinein.
     
    Sieh jenen dort: es frömmelt sein Gesicht,
    Mir sagt's sein Aug', daß er von »
Tugend
« spricht;
    Sieh, wie so süß er seiner Dame lächelt
    Und Kühlung ihr mit seinen Blumen fächelt,
    Sieh hin – und denk dann an den Festeszug,
    Wo der Hyänenmensch
auch
Blumen trug.
     
    Und jenen zweiten sieh: wie Dantons Brust
    Hebt sich die seine stolz und selbstbewußt,
    Ein jedes Härlein schwört auf diesem Haupt,
    Daß es an nichts als an sich selber glaubt.
     
    Und jenen Hagren sieh: sag, kündet nicht
    »La mort – sans phrase!« dies steinerne Gesicht?
     
    Und jenen da: vergiftet ist sein Blut,
    Pestbeule draußen, drinnen Höllenglut;
    »Stirb an
dir selbst
, Tyrann! zu rein für dich
    Ist einer Corday keuscher Messerstich.«
     
    Genug! Du aber, Fürst, des Blicke eben
    Scheu wieder sich zum Wandbild dort erheben,
    Du Kaiserneffe, der im Herzen still
    Noch immer rechnet:
ob's nicht werden will?
    Und über

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