Gedrillt
Ihren Tee nicht getrunken«, sagte er.
»Nein.«
Er stand auf und schlug die Hacken zusammen, als er sich verabschiedete. Ich blieb noch ein paar Minuten länger sitzen, nippte an meinem Teeglas und blickte mich im Raum um. Ich bemerkte, daß er mir die Rechnung hinterlassen hatte. Mit dem Katalog, den Hoffmann mir gegeben hatte, trat ich hinaus auf die Terrasse, von der aus man die Salzach überschauen konnte. Es war zu kühl, als daß sich jemand dort hinaus hätte setzen wollen, aber ich genoß die Vorstellung, alleine zu sein. Ich schlug die Nummer 584 nach. Sie gehörte zu der Abteilung des Katalogs mit der Bezeichnung »Deutsche Reichsflugpost – Zeppelinbelege« und war in jenem hemmungslosen Prosastil beschrieben, dessen sich auch die Männer bedienen, die Ferienwohnungen an der Costa Brava verkaufen.
»584. Sieger Katalog 626. Brief. Bunttafel IV. öS 1000, – 1930, Südamerikafahrt, Paraguaypost. Schmuckbrief mit Flugpostmarken, entwertet mit violettem Paraguay-ZeppelinSonderstempel ›Por Zeppelin‹, dazu violetter ParaguayFlugpoststempel 16.5. Brief nach Deutschland, in dieser Erh. ungewöhnl. schöner und extrem seltener Beleg, Spitzenbeleg für den großen Sammler.«
Ich entnahm dem allem, daß 1930 der auf der Farbtafel Nr. 4 abgebildete Umschlag auf eintausend Schilling geschätzt worden war. Er war, versehen mit allen postalischen Formalien, auf dem Luftschiff Graf Zeppelin von Paraguay nach Deutschland expediert worden und inzwischen eine große philatelistische Rarität. Die Farbabbildung zeigte einen guterhaltenen hellblauen Umschlag mit verschiedenen Marken und Gummistempelungen, adressiert an einen Herrn Davis in Bremen. Er sah nicht aus, als wäre er auch nur annähernd tausend Schilling wert. Während ich da so über dem Fluß saß und zur Festung Hohensalzburg hochschaute, die den halben Horizont verdeckte, öffnete sich die Glastür, und ein Mann gesellte sich zu mir auf die Terrasse. Zunächst schien er mich nicht zu bemerken. Er ging bis an die schmiedeeiserne Brüstung und sah nach, wie tief man da hinunterfallen konnte, so, wie das die meisten Leute machen. Als der Mann sich umwandte, um einen besseren Blick auf die Festung jenseits des Flusses zu bekommen, konnte ich ihn eingehender betrachten. Er war einer der Amerikaner, die ich vorhin drinnen bemerkt hatte. Er trug einen kurzen, tannengrünen Lodenmantel, modisch mit großen Taschen, Gurten und Schlaufen ausgestattet. Sein Haar war graumeliert und ordentlich geschnitten, und auf dem Kopf trug er eine schicke Lodenmütze. Er redete ohne Einleitung. »Als ich gestern Mozarts Geburtshaus besuchte, war das eins der größten Erlebnisse meines Lebens.« Er hatte eine kräftige Cowboystimme, die die erklärte Gemütsbewegung Lügen strafte. »Getreidegasse 9. Sind Sie schon mal dagewesen?«
»Einmal … vor langer Zeit«, sagte ich.
»Man muß früh hingehen«, fuhr er fort, »es füllt sich schnell mit diesen pickelgesichtigen Rucksacktouristen, die Coke aus der Dose trinken.«
»Ich werde es mir merken«, sagte ich und öffnete meinen Katalog in der Hoffnung, er würde weggehen. »Mozart läßt sich im dritten Stock zur Welt bringen, und das ist unpraktisch, also darf man sich nur das Museum im Erdgeschoß ansehen. Irgendwie ist das ja ziemlich blöd, finden Sie nicht?«
»Mag sein.«
»Auf Mozart fahr’ ich wirklich ab«, sagte er. »Cosi fan tutte muß das absolut größte Musikerlebnis sein. Na schön, die Kritiker stehen auf Don Giovanni, und Mozarts Frau Constanze erklärte, der Maestro habe Idomeneo für die Nummer eins gehalten, aber Idomeneo war schließlich sein erster durchschlagender Erfolg. Die Kasseneinnahmen, die Idomeneo in München einspielte, machten den jungen Wolfgang über Nacht zum Star. Aber Cosi ist wirklich Spitzenklasse. Nehmen Sie nur die psychologische Einsicht, die dramatische Integrität und die musikalische Eleganz. Yes, Sir, es ist Zucker, Zucker durch und durch. Ich spiele Cosi im Auto; ich kenne jede Note, jedes Wort. Meine Theorie ist, daß die beiden Mädels sich von den Verkleidungen nicht täuschen lassen. Sie wollen sich bei dem Partnertausch amüsieren. Darum geht es nämlich im Grunde: Partnertausch. Mozart konnte das natürlich so direkt nicht sagen, weil das zu anstößig gewesen wäre. Aber überlegen Sie sich’s mal.«
»Mache ich«, versprach ich.
»Und soll ich Ihnen mal was erzählen über diesen großartigen kleinen Kerl? Er konnte im Kopf komponieren: Musik, seitenweise. Und dann
Weitere Kostenlose Bücher