Gedrillt
gemütlich! Mögen Sie die Oper?«
Endlich errettete mich aus dieser Unterhaltung ein Mann, der mich fragte, ob ich Reporter einer Zeitung sei. Dodo machte sich davon. Der Neuankömmling war untersetzt und trug einen kleinen Bart, den man einen van Dyke nennt, obgleich er an ihm eher mephistophelisch aussah. Ich antwortete ihm, das sei ich nicht, und er schien zufrieden zu sein. Er hob den Arm und zeigte auf ein großes Gemälde; ein groteskes Arrangement von abstrakten Formen in den Primärfarben. »Gefällt Ihnen das?«
»Was ist es?« sagte ich.
»Es ist moderne Kunst«, sagte er in herablassend belehrendem Ton. »Wissen Sie, was das ist?«
»Ja. Moderne Kunst ist, was passiert ist, als die Maler aufhörten, den Mädchen nachzusehen.«
»Ach wirklich?« sagte er kalt. »Ist das nicht Kulturbolschewismus?« Das war ein Tiefschlag. Als Kulturbolschewismus verurteilten die Nazis alle Kunst außer der vom Staat gebilligten, die natürlich nicht abstrakt war.
»Es fängt an, mir zu gefallen«, sagte ich feige. »Sind Sie Maler?«
»Andras Scolik!« Er schlug die Hacken zusammen und verbeugte sich knapp. »Ich schreibe Musik«, sagte er. »Wienerische Musik.«
»Walzer?«
»Walzer!« sagte er verächtlich. »Natürlich nicht. Wahre Musik!«
»Ach so«, sagte ich. Ich erregte die Aufmerksamkeit eines vorübergehenden Kellners, und diesmal erhaschte ich ein Glas einheimischen Champagners. Er schmeckte genau wie der Gespritzte.
»Nein«, sagte er. »Ich habe weder den berühmten Jodler geschrieben noch ›Im Salzkammergut kann man gut lustig sein‹. Ich hoffe, das enttäuscht Sie nicht zu sehr.«
»Nein.«
»Es ist eine Schlacht gegen die Geschichte«, meinte er. »Wir Österreicher übertreiben alles, nicht wahr?«
»Nein«, sagte ich.
»Doch, doch. Ausländer lachen uns aus. Unsere Nationaltracht ist komisch, unser Deutsch unverständlich, unsere Küche unverdaulich, unsere Bürokratie unüberwindlich. Selbst unsere Landschaft und unser Klima sind absurd und übertrieben. Berge und Schnee. Wie ich das alles hasse. Fragen Sie einen Ausländer nach einem berühmten Österreicher, und er wird Ihnen Julie Andrews nennen.«
Ich war auf diesen leidenschaftlichen Ausbruch nicht gefaßt. Ich versuchte, ihn zu beruhigen. »Ich dachte an Mozart«, beschwichtigte ich schnell.
Das schien ihn nur noch wütender zu machen. »Reden Sie mir nicht von Mozart. Dieses verfluchte Land ist seinem Andenken versklavt. Wir Musiker sind Gefangene Mozarts und seiner elenden Rokoko-Musik. Tam-titti-tam-titti-tam-tam-tam. Ich verachte Mozart.«
»Ich dachte, jeder hätte Mozart gern«, sagte ich.
»Die Engländer mögen ihn. Diese anämische Musik des 18. Jahrhunderts entspricht irgendwie dem blutleeren englischen Temperament.«
»Vielleicht ist es das«, sagte ich. Die Hoffnung, ihn beruhigen zu können, hatte ich aufgegeben.
»Tote Komponisten! Sie mögen nur tote Komponisten. Als Mozart noch lebte, mußte er bei den Dienstboten sitzen. Eine Stufe über dem Küchenpersonal, aber viele Stufen unter den Kammerdienern. So gehen sie mit Musikern um, solange die noch am Leben sind.«
»Sie verachten Mozart doch nicht wirklich, oder?« fragte ich.
»Tam-titti-tam-titti-tam-tam-tam.«
»Bedenken Sie«, sagte ich mit einiger Autorität, »die psychologische Einsicht, die dramatische Integrität und die musikalische Eleganz.«
»Quatsch! Warum hat der dumme Junge so viel Zeit auf deutsche Opern verschwendet? Spielzeugmusik! Konnte er nicht sehen, daß die Zukunft der Oper im sublimen Genius der Italiener wurzelt? Hören Sie nur La Traviata! Da werden Sie Leidenschaft hören … tiefes, menschliches Gefühl, ausgedrückt durch den üppigen Klang eines großen Orchesters und orchestriert von einem wahrhaft genialen Komponisten, der die Kunst des Gesangs auf eine Weise verstand, von der der kleine Mozart keine Ahnung hatte.«
»Andras!« rief jemand vom anderen Ende des Zimmers. »Kannst du hier mal einen Streit schlichten?« Der zornige Musiker verbeugte sich knapp und wandte sich in aller Förmlichkeit von mir ab, wobei er ein paar Tropfen seines Weins verschüttete. Ich nippte an meinem Glas und sah mich um. Die Atmosphäre im Raum hatte sich spürbar aufgelockert. Anstatt der übersättigten Müdigkeit, die so oft die Trauergäste einer sterbenden Party umgibt, war da ein Gefühl der Erwartung, aber ich hatte keine Ahnung, was erwartet wurde. Ich musterte den Raum. Er schien für diesen Gesellschaftsempfang teilweise ausgeräumt worden zu sein. Die
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