Gedrillt
Rechtecke heller getönter Tapete an der Wand verrieten, daß man einige großformatige Bilder durch kleinere ersetzt hatte. Die wenigen Möbelstücke, die jetzt hier noch standen, waren kostbare Antiquitäten, Beistelltische mit Einlegearbeiten und ein Büffet im Hepplewhite-Stil. Aber meine Aufmerksamkeit richtete sich auf ein Arrangement in einer Ecke des Raumes. Es war offensichtlich aufgestellt worden, irgendeinen reichen Kunden zu bezaubern. Drei wunderschöne Stühle in dem strengen geometrischen Stil der Wiener Sezession und dahinter zwei vorzügliche Plakate von Schiele. Mein widerwilliger Gastgeber muß gesehen haben, wie ich seine Waren bewunderte, denn als er nun, eine Champagnerflasche in der Hand, auf mich zukam, lächelte er. »Ich hoffe, Andras war nicht allzu unfreundlich«, sagte Staiger. Er füllte mein Glas. Er schien sich damit abgefunden zu haben, daß ich mich zu seiner Party eingeladen hatte.
»Er war sehr informativ.«
»Sind Sie vom Diplomatischen Corps?« Diesmal kam ein Lächeln, und die Nase zuckte. »Oder schickt uns die Londoner Zentrale neuerdings feiner gebildete Leute?« Staiger war etwa zehn Jahre jünger als ich, und trotzdem konnte er sich eine derartige Bemerkung erlauben, ohne damit Zorn zu provozieren oder zu kränken. Baron Staiger aus Wien und Herr Hoffmann aus Salzburg und Gott weiß was an den anderen Orten, die er besuchte, besaß ein gerüttelt Maß von jenem Wiener »Zauber«, den die übrige Welt »Schmalz« nennt. Er sagte: »Andras hat heute abend eine schwere Enttäuschung erlebt, fürchte ich. Zehn Jahre lang hat er sich um eine Aufführung seines Streichquartetts bemüht. Heute abend ist es aufgeführt worden. Seine treuen Freunde waren da, aber wir waren nicht genug, den Konzertsaal zu füllen.« Er nippte an seinem Glas. »Schlimmer noch, ich glaube, Andras hat selbst gemerkt, daß seine Komposition nicht sehr gut ist.«
»Armer Andras«, sagte ich.
»Seine Eltern sind die Eigentümer der Konditorei Scolik«, sagte Staiger ironisch. »Kennen Sie die? Jeden Nachmittag stehen da die alten Damen Schlange nach diesem vorzüglichen Mohnstrudel, den sie mit riesigen Portionen Schlagobers verschlingen. Die Konditorei ist die reinste Goldgrube. Der Strudel wird ihm helfen, die Krise seines Selbstvertrauens zu überleben.«
»Ist es das, was er gerade hat?«
»Strudel?« fragte er spöttisch. »Nein, Sie meinen eine Krise seines Selbstvertrauens. Morgen muß er sich den Musikkritikern stellen«, sagte Staiger. »Und Wien brütet eine blutdürstige Rasse von Kritikern aus.«
»Karl!« sagte eine kleine Frau mit scharfen Zügen, die sich durch ihr Benehmen bald unmißverständlich als Staigers Gattin zu erkennen gab. Ohne mich zu beachten, sagte sie: »AnnaKlara ist gekommen, Karl.« Sie berührte seinen Arm. Ich fragte mich, ob sie von den anderen Leben ihres Mannes wußte. Vielleicht dachte sie, ich sei ein Teil von diesen.
Staiger lächelte befriedigt. »Wirklich? Kolossal!« Ich sollte später entdecken, daß er den Besuch dieser Dame als einen gesellschaftlichen Triumph von erheblichem Gewicht einschätzte. Er blickte umher, wie um sich zu überzeugen, daß kein störender Anblick im Raum ihn in den Augen dieser illustren Besucherin abwerten würde – und fand nur mich. Für einen Augenblick glaubte ich, er würde mich in einem Schrank verstecken, aber er schluckte, blickte verständnisheischend seine Frau an und sagte, wie um seine schwierige Lage zu erklären: »Wenn die Gäste gegangen sind, habe ich mit Herrn Dr. Samson noch etwas Geschäftliches zu besprechen.« Er glättete sein spärliches Haar, wie um zu prüfen, ob es noch da sei.
Seine Frau sah mich an und nickte freudlos. Sie wußte, ich war nicht wirklich ein Doktor, ein wirklicher Doktor wäre »Baron« genannt worden und ein wirklicher Baron »Fürst«. So läuft das in Österreich. Ich lächelte, doch sie erwiderte mein Lächeln nicht. Sie war eine pflichtbewußte österreichische Hausfrau, die alles Geschäftliche ihrem Mann überließ, sich aber nicht verpflichtet fühlte, seine abgerissenen Arbeitskollegen zu mögen. »Da kommt Anna-Klara«, sagte sie.
Es war die Ankunft dieses Ehrengastes, die alle gespannt erwartet hatten. Diese Sopranistin war an diesem Abend in der Oper aufgetreten, und als sie den Raum betrat, entsprach ihr Auftritt der Verehrung, die ihr vom hier versammelten Publikum entgegengebracht wurde. Schwungvoll schwebte sie in ihrem langen, fließenden Gewand herein. Das hoch auf dem
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