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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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aus und führte mich nach hinten und eine enge Holztreppe hinauf. Aus dem Keller kamen die Gerüche von Bindemitteln, frischen Hobelspänen und Politur, die gemeinsam die Tischlerwerkstatt verraten. In den oberen drei Etagen lagen Wohnräume, im Treppenhaus hingen Stiche und Stickereien in alten Rahmen, und auf dem Treppenabsatz stand eine schöne, fabelhaft erhaltene Eichenkommode. Die Wohnräume dienten wohl zum Teil auch als Schauräume. Als wir uns der obersten Etage näherten, hörte ich von dort Musik, und Küchendüfte oder jedenfalls die Dünste früherer Speisezubereitung ersetzten die Chemiegerüche des Kellers. »Ich habe Gesellschaft«, erklärte Staiger. »Hängen Sie Ihren Mantel dort auf, und lassen Sie Ihre Tasche da. Wir unterhalten uns später.«
»Okay.«
    In der obersten Etage des Hauses hatte man aus zwei kleinen Zimmern eines gemacht, worin sich jetzt etwa ein Dutzend Leute befanden. Alle waren auf die extravagante Weise kostümiert, die ich in London als Karnevalsmaskerade zu deuten versucht gewesen wäre. Die Frauen trugen haufenweise Schmuck und tief dekolletierte Kleider, eines davon aus rauchfarbener Seide mit Volants und ein anderes spektakuläres Modell mit altem Spitzenbesatz. Die Männer trugen Abendanzüge mit Kummerbunden in prächtigen Farben oder Schärpen, und einige der älteren Herren hatten ihre Orden angelegt. Dieser Baron von Staiger hatte nichts von der Vergnügtheit, die ich in Salzburg an Hoffmann bemerkt hatte. Er machte keinen Versuch, mich seinen Gästen vorzustellen, sagte zu denen, die uns bei unserem Eintreten fragend ansahen, unwillig: »Das ist Samson, ein Freund aus Salzburg.« Ich war feucht. Der schwere Regen war durch meinen Trenchcoat gedrungen, und mein zerbeulter alter Anzug hatte überall Falten, wo keine hingehörten. Sie betrachteten mich ohne Begeisterung. In der Ecke rang ein Pianist mit George Gershwin, wobei beide auf der Strecke blieben. Nach meinem Eintreten hatte er zerstreut ein paar Walzertakte gespielt und mir zugelächelt, als kenne er mich. Bald danach hörte das Klavierspiel auf. Ich hatte das Gefühl, daß ich die Gemütlichkeit entschieden gestört hatte. Der Kellner stürzte sich auf mich. Gefragt, was ich trinken wollte, und unterrichtet, daß es keine harten Sachen gab, nahm ich einen Gespritzten und stand dann herum und wartete darauf, daß die anderen nach Hause gingen. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Staiger großen Wert darauf legte, sich mich vom Leib zu halten, denn nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß man mir was zu trinken gebracht hatte, wandte er sich einer Gruppe am anderen Ende des Raumes zu. »Sie wohnen also jetzt in Salzburg?« fragte eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und stellte fest, daß es der Klavierspieler war, den ich in der besseren Beleuchtung wie ich mit Schrecken wahrnahm, allerdings erkannte. Heiliger Himmel! Ein bösartiges Reptil namens Theodor Kiss, das sich Dodo nannte.
    Bei unserer letzten Begegnung hatte er versucht, mich in Stücke zu reißen, und war auch zu diesem Zweck ausgerüstet gewesen. Jetzt aber lächelte er liebenswürdig, und das lange weiße Haar verlieh ihm eine trotz seines ungebügelten Abendanzugs majestätische Erscheinung. Er war ein bösartiger alter Mann, ein Ungar, der, als Deutschland den Krieg verlor, die Seiten gewechselt und bei den Siegern Karriere gemacht hatte.
»Nein. Sie vielleicht?« fragte ich.
»Ich wohne jetzt in Wien. Ich habe hier eine wunderhübsche
neue Wohnung. Ich fand, es war Zeit zu einem Umzug … Südfrankreich ist so … vulgär geworden.«
    »Tatsächlich?« Ich konnte die neue, rote Narbe quer über Dodos Schädel erkennen. Die Wunde hatte ihm Jim Prettyman beigebracht, als er ihn niederschlug und damit mir wahrscheinlich das Leben rettete.
    »Und wie geht’s meinem Darling Zu?« Er war mit Glorias Familie befreundet.
Ich brummte irgendwas davon, daß es ihr gutginge. Er wußte, daß ich nicht mit ihm sprechen wollte, aber ihm machte es Spaß, sich mir aufzudrängen. »Ich habe schließlich in Wien studiert. Die Stadt ist für mich eine Art Heimat. So viele alte Freunde und Kollegen.«
Ich nickte. Ja, allerdings. Eine Menge alte Kollegen gab es hier für einen einstigen Nazi wie Dodo. Der Kellner offerierte uns ein Tablett mit Liptauer Käse auf kleinen Toastscheiben. Ich schob mir ein paar davon in den Mund. Im Flugzeug hatte es nichts zu essen gegeben.
»Wien ist die schönste Stadt der Welt«, sagte Dodo. »Und so

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