Gedrillt
Japanisch. Sorgfältiges Studium des Plans entdeckte mir, daß mein Ziel eine Nebenstraße der Kärtnerstraße war, einer wichtigen Durchgangsstraße, die vom Opernring, der die Innenstadt einschließt, zum Stephansdom führt. Es war dunkel, als ich neben dem kolossalen Bau der Staatsoper aus dem Taxi stieg. Drinnen war eben der Vorhang über dem letzten Akt des Barbier von Sevilla gefallen. Viele Türen öffneten sich gleichzeitig, so daß gelbe Lichtrechtecke auf das Pflaster hinausfielen. Dann drängten Leute nach draußen, einzelne zunächst, etwa ein Dutzend, die schweigend die regenglänzenden Straßen musterten mit einer Miene verwirrter Vorsicht, so, wie intergalaktische Reisende aus einem riesigen, steinernen Raumschiff aussteigen mögen. Von drinnen hörte man gedämpft Applaus aufbrausen. Augenblicke später entließ das sich zum letzten Mal verbeugende Ensemble eine Flut von Menschen, und diese kam lärmend und hochgestimmt. Eine wirbelnde Masse ergoß sich über den Vorhof auf die Fahrbahn, ohne Rücksicht auf den Verkehr, und die Leute lachten und riefen einander zu, wie Schwerverbrecher der Oberschicht, die unerwartet aus dem Gefängnis entlassen worden waren. »Fußgängerzone«, erklärte der Taxichauffeur, indem er eine illegale Kehrtwendung machte und seinen Wagen für die Menge der Heimkehrenden in Stellung brachte, von denen ihm schon viele winkten. »Von hier aus müssen Sie zu Fuß weiter.« Inzwischen war die Straße voller Leute, bekleidet mit erstaunlichen Pelzmänteln, Abendanzügen und Abendkleidern, die anzulegen Deutsche und Österreicher für erforderlich halten, wenn sie einer kulturellen Veranstaltung beiwohnen. Eine Gruppe derart aufgeputzter Opernbesucher belagerte das Taxi, sobald es anhielt, und fing an, es mit lauten Stimmen zu umringen, woraus schnell ein Streit konkurrierender Gruppen wurde. Ich bezahlte den Fahrer und bahnte mir einen Weg durch die Scharen, die noch immer aus den Türen des Opernhauses quollen. Doch dann ließ das Gedränge nach, denn wenige Leute wandten sich in Richtung der engen Straßen der Innenstadt. Bald war ich allein, und das Echo meiner Schritte begleitete mich an dunklen Läden und geschlossenen Cafés vorbei. Die Wiener Innenstadt geht früh schlafen.
Die Adresse, die ich suchte, war in einer engen, schlecht beleuchteten Gasse, in der sich hauptsächlich Antiquitätengeschäfte befanden, hinter Fassaden, die so verwahrlost waren, wie es sich nur die exklusivsten Antiquitätengeschäfte leisten. Durch die düsteren Schaufenster schimmerten prächtige Orientteppiche, polierte Möbel und altes Glas. An der Tür eines Ladens befand sich ein Messingschild mit der diskreten Inschrift »Karl Staiger«. Ich drückte den Klingelknopf. Es dauerte lange, ehe irgend jemand reagierte. Auch dann öffnete sich nur in einer oberen Etage ein Fenster, das sich kurz darauf wieder schloß. Durch das Schaufenster konnte ich sehen, wie schließlich hinten im Laden ein trübes Licht anging, das die Möbel und die Gestalt eines kurzen, rundlichen Mannes umriß, der sich durch die ausgestellten Objekte einen Weg zur Tür suchte. Er öffnete die Tür nur so weit, wie es die Sicherheitskette zuließ. Durch den Spalt rief er: »Ja, was ist?«
»Ich suche den Herrn Baron Staiger«, sagte ich. »Ich komme aus Salzburg.« Ich vernahm einen Seufzer. Die Tür wurde geschlossen und die Sicherheitskette ausgehakt.
Als er die Tür öffnete, um mich in Augenschein zu nehmen, sah ich, daß er kein anderer als Otto Hoffmann war. Daß ich ihn nicht gleich erkannt hatte, war entschuldbar, denn dieser hier war ein viel nüchternerer Typ als der vergnügte kleine Mann, der mir in Salzburg dreitausend Schilling gegeben und einen Vortrag über Philatelie gehalten hatte. Jetzt war er in Gesellschaftskleidung, trug ein gestärktes Hemd mit Frackschleife und eine farbenprächtig bestickte Smokingjacke. Er starrte mich einen Augenblick lang an, ohne zu antworten. Es war fast, als versuche er einen Vorwand zu finden, mich wegzuschicken. Widerstrebend sagte er aber dann: »Hallo, Samson.« Keine warmherzige Begrüßung. »Sie sollten doch anrufen.«
»Ich konnte nicht.«
»Warum nicht?«
»Kein Kleingeld«, sagte ich scherzend. »Also kommen Sie
rein. Hier in Wien bin ich von Staiger.«
Wie Hoffmann sprach von Staiger reines Wienerisch. Er ließ mich eintreten, und ich wartete, während er umständlich die Ladentür wieder verschloß, verriegelte und zukettete. Er schaltete im Laden das Licht
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