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Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Olmesdahl
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Jägerin sein musste. Einer von ihnen hatte schließlich mit angesehen, wie unerschrocken sie Kira erledigte. Die Erinnerung an diesen Moment schmerzte und ließ zugleich sein Herz schneller schlagen. Dass sie ihn gerettet hatte, sprach dafür, dass sie ihn trotz allem liebte. Aber wie leicht hätte es schiefgehen können? Wenn der Fluch sie nun getroffen hätte? Er verdrängte den unfassbaren Gedanken, denn er hatte es nicht. Nur das zählte. Er baute darauf, dass sich ihre Gefühle nicht geändert und der Beirat sie keiner Hirnwäsche unterzogen hatte. Falls doch, so starb er wenigstens durch ihre Hand, und mit der Gewissheit, dass es ihr gut ging.
    Vom Flughafen marschierte Sebastian zu Fuß weiter. Einem Magier konnten Kilometer nichts anhaben und er hielt es für das Beste, den Weg durch den Wald zu wählen. So reiste er ungesehen und im Schutz der Natur. Seinen Berechnungen nach zu urteilen musste in weniger als einer Stunde das Jagdschloss vor ihm auftauchen. Die Freude darauf, Anna wiederzusehen, beflügelte seine Beine und ließ ihn noch einen Tick schneller seinem Ziel entgegenlaufen.

    *
    Anna streckte sich und sah benommen auf die Uhr. Ihr Kopf dröhnte, als hätte sie kaum ein Auge zugetan. Neuerdings fiel es ihr leichter, tagsüber zu schlafen. In der Nacht verdunkelten sich auch ihre Gedanken und hielten sie auf Trab. Vielleicht mutierte sie zu einem Vampir? Falls es die überhaupt gab, hieß das. Immerhin bewirkte die Tatsache, dass sie zeitig aufstand. Nicht einmal sieben Uhr. Die Engländer hatten keine Zeit genannt, wann sie sich auf den Weg begeben würden, die Mentoren abzuholen. Irgendwann morgens. Sobald sie starteten, war das das Zeichen, so schnell es ging zu verschwinden.
    Mit bleischweren Gliedern kroch sie aus den Laken und huschte ins Bad. Eine Dusche half bestimmt, die Gedanken zu sortieren. Wo lag das Hauptquartier und wie zum Teufel sollte sie es bis dorthin schaffen? Der Plan besaß Lücken, große Lücken. Sie ohrfeigte sich gedanklich dafür, dass sie nicht die Nacht in dem kleinen Lesezimmer nach einem Anhaltspunkt gesucht hatte. »Ja, Anna, einen guten Plan zu haben wäre auch zu hilfreich«, schimpfte sie vor sich hin und rollte die Augen. Vielleicht blieb noch ein bisschen Zeit, um die Recherche nachzuholen, einen Versuch war es wert. Unter der Brause schaltete sie die Gedanken ab. Es half niemandem, wenn sie schon durchdrehte, bevor es überhaupt losging. Sie ließ das Wasser auf ihren Schädel prasseln und das Vanillearoma des Shampoos benebelte ihre Sinne. Die alten Leitungen ächzten geräuschvoll. Minuten später drehte sie den verrosteten Hahn zu.
    »Eile mit Weile, Anna. Ob du gehst oder rennst, es bleibt derselbe Weg«, brabbelte sie nervös vor sich hin. Was machte es schließlich für einen Unterschied, wenn sie doch ein paar Talente bekamen? Es wäre zumindest nicht der Weltuntergang. Das Wichtigste war, dass sie es schaffte, die Geiseln zu befreien, bevor sich das Team auf die Jagd begab und womöglich noch einer sein Leben dabei ließ. Ob sie überhaupt wussten, welche Gefahr die Fingerless darstellten? Natürlich nicht, genau deshalb hatte sich der geschmacklose Beirat für Normalo-Leute entschieden …
    Im Bademantel bekleidet betrat sie ihr Schlafzimmer. Tatsächlich hatte wohl jemand geglaubt, ein rosafarbener plüschiger Hello-Kitty-Mantel würde zu ihr passen, aber es blieb keine Zeit, sich über das schicke Dress zu ärgern.
    Annas Blick glitt zu ihrem Bett und ihr stockte der Atem. Ihr Herz setzte aus, und das Glück persönlich breitete seine goldenen Schwingen über ihr aus. Die aufgehende Sonne warf zarte Strahlen durch das Fenster nahe der Decke. Die Scheibe musste einen Grünstich haben, denn ein Hauch der Farbe schimmerte auf das zerwühlte Bett und vermischte sich mit dem Blauton besonderer Iris. Dort saß er. Ihr Engel, ihr Raubvogel, ihr Halbgott.
    Ihre Vorstellungskraft hatte nicht an die Realität herangereicht, denn seine Schönheit überbot die Erinnerung. Er sah verunsichert aus, müde und abgekämpft. Seine eisblauen Augen sprachen Bände, obwohl sie nicht recht zu wissen schienen, was sie eigentlich aussagen wollten.
    Unwichtig, denn sie fanden sofort den Weg tief in ihre Seele. Er war hier und für den Augenblick zählte das mehr als alles andere. Tausend sinnlose Worte bildeten noch sinnlosere Sätze in ihrem Kopf. Anna schluchzte und warf sich in seine Arme. Sie sog seinen Duft ein, eine Mischung aus männlichem Moschus und Aftershave. Er

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