Gefaehrlich begabt
hatte die Nummer schon Jahre nicht mehr gewählt, trotzdem waren ihr die Zahlen im Gedächtnis geblieben. Die Frauenstimme hatte sich nicht verändert.
»Heather? Hier ist Marla.«
»Dein Anruf kann nichts Gutes verheißen«, antwortete die Frau, ohne einer Begrüßung nachzukommen.
»Wir haben uns lange nicht gesprochen und ich würde nicht anrufen, wenn es nicht wichtig wäre.«
»Was ist passiert?«
Marla schilderte das Geschehen in wenigen Sätzen und gab nicht allzu viel preis. Je weniger sie wusste, umso besser.
»Und was soll ich jetzt tun?«
»Du musst dich in Sicherheit bringen und ein paar Leute mitnehmen. Du wirst deine Hexenkünste anwenden müssen.«
»Das habe ich nicht mehr getan, seit …« Heather beendete den Satz nicht, aber das war auch nicht nötig.
»Es geht um Leben und Tod. Eigentlich kann ich dir keine Wahl lassen.«
»Wen soll ich mitnehmen?«
»Meine Tochter, Schwiegereltern und ein paar Freunde. Verlasse das Land, am besten den Kontinent.«
»Ich werde alles arrangieren.« Heather brachte ihr auch nach all den Jahren noch großes Vertrauen entgegen.
Zehn Sätze später drückte Marla die Austaste und löschte die Nummer aus dem Gesprächsverlauf. Sie steckte das Handy wieder in die Tasche des Halbengels zurück. Sie musste es einfach tun, die Menschen beschützen, die sie liebte.
Jenny kam zurück in das Schlafzimmer gestolpert, Ralph und Sally im Schlepptau. Sally sog scharf die Luft ein und Ralph Graf sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen, als sie den Engländer erblickten.
»Was tun Sie da?«, fuhr der stattliche Mann sie an.
»Herr Graf, Ihre Tochter ist gerade dabei, die Geiseln zu befreien. Wenn wir nicht an deren Stelle treten wollen, sollten wir schleunigst von hier verschwinden.«
»Meine Tochter ist was?«, donnerte Ralph.
Sally ließ sich aufs Bett sinken. »Sie sollten mehr Vertrauen in Ihr Kind haben. Sie scheint die Einzige zu sein, die weiß, was zu tun ist. Wenn Sie bleiben, wird Anna es Ihnen niemals verzeihen. Heute entscheidet sich, wer Freund und wer Gegner ist.«
»Aber wie will sie das denn anstellen? Sie ist ein Kind und die Männer sind gefährlich!« Ralph kämpfte mit den Tränen. Marla sah ihm an, dass er Angst hatte. Seine Wut entstand aus der Hilflosigkeit.
»Sebastian ist bei ihr«, antwortete sie.
»Der Magier?« Das letzte Tüpfelchen, das noch gefehlt hatte, um Ralph in abgrundtiefe Angst zu jagen. Sie hätte es wissen müssen, aber nun war es zu spät. »Er wird sie töten!«
Marla schüttelte den Kopf. »Herr Graf, Sebastian kämpft auf der Seite, auf der Sie ebenfalls stehen sollten. An der Seite Ihrer Tochter. Es ist erschreckend, dass es so weit gekommen ist, dass wir uns auf einen Magier verlassen müssen. Aber ich kann Ihnen versichern, wir können das bedenkenlos tun. Also? Werden Sie mit uns kommen?«
Sally hatte sich anscheinend wieder gefangen und schnitt Ralph das Wort ab. »Wir werden. Wenn Anna meine Mutter gerettet hat und all die anderen Menschen, steht es außer Frage, auf wessen Seite wir stehen. Eigentlich empfinde ich schon die ganze Zeit so, aber …« Sie rang um Worte und gab den Erklärungsversuch schließlich auf.
Marla nickte der blonden Frau zu, als Jenny mit ihrer Großmutter hineinstürmte.
»Jenny hat mich aufgeklärt. Hoffen wir, dass das kein Fehler war.« Virginia klang wütend, aber Hauptsache, sie schloss sich an.
»Die anderen beiden wollen nicht herkommen«, keuchte Jenny atemlos.
»Ich gehe«, antwortete Sally.
Marla warf einen Blick auf Robert Pearson und nickte. Sie konnte nicht riskieren, ihn ohne ihre Aufsicht zu lassen.
Das auserwählte Jägerteam schwieg. Alle Hoffnung lag nun bei Anna.
Kurze Zeit später vernahm Marla Schritte auf der Treppe. Sie war überrascht, als anstelle von Sally Sebastian das Schlafzimmer betrat. Sein Anblick erleichterte ihr Herz um ein Vielfaches. Er war zurück und mit ihm die Gerechtigkeit.
Sebastian lächelte sie an. Doch bevor Marla das Lächeln erwidern konnte, passierte das, was nicht passieren durfte.
38. Kapitel
Kevins Fehler
A nna lag lang ausgestreckt auf dem Waldboden. Hohe Tannen umgaben und schützten sie. Ihr Herz hatte es noch nicht geschafft, sich zu beruhigen, aber immerhin atmete sie schon wieder, ohne dass die Lungenflügel förmlich verbrannten. Wie schnell ein Leben außer Kontrolle geraten konnte. Unglaublich. Obwohl sie mit der magischen Welt schon eine Weile vertraut war, immerhin hatte Eva sie schon vor Jahren
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