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Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Olmesdahl
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Fahrt mit der S-Bahn dauerte nur knapp zwanzig Minuten. Danach stieg Anna in ein Taxi, weil s ich für das letzte Stück die Busverbindung als schwierig herausstellte. Die Hexe hatte sie um zehn Uhr zum Frühstück eingeladen, und ein Blick auf die Armbanduhr sagte Anna, dass sie einen Zug zu früh genommen hatte. Nach dem Erlebnis hatte sie kein Auge mehr zugetan, trotzdem fühlte sie sich hellwach. Ihre feuchten Hände verrieten ihre Gefühlslage und in ihrem Magen rumorte es heftig. Obwohl die Sonne in den Morgenstunden noch nicht vom Himmel knallte und Anna einen Sommerrock trug, glühte ihre Stirn. Dankbar, die schreckliche Kälte nicht spüren zu müssen, nahm sie die Tatsache widerstandslos hin.
    Das Taxi stoppte vor einem alten Resthof. Es gab kein weiteres Haus auf dem einsehbaren Stück der Landstraße. Die schwarz-weiße Front des imposanten Fachwerks stach sofort ins Auge.
    Blumenkästen zierten die Fensterbänke und eine schwarze Katze saß in der Sonne und putzte sich ausgiebig.
    Anna bezahlte den Fahrer mit einem Zwanziger und ließ ihn das Wechselgeld behalten. Eine großzügige Geste, wie sie daraufhin bemerkte. Mit weichen Knien betrat sie den Hof und steuerte auf die Haustür zu. Das Haus wirkte riesig und uralt. Anna hatte etwas anderes erwartet, schließlich besuchte sie eine Hexe. Aber Knusperhäuschen existierten wohl nur im Märchen. Es gab keine Klingel, sie suchte vergebens ein paar Sekunden danach, dafür aber einen Türklopfer aus Messing. Der große Hirschkopf starrte sie an.
    Sie fuhr sich durchs Haar und streifte es hinter die Ohren. Der Türklopfer wog schwer und ihre Befürchtung, man könnte ihn im Haus vielleicht nicht überall hören, löste sich in Luft auf, als das Geräusch drinnen dumpf nachhallte.
    Sie wollte versuchen, Marla neutral gegenüberzutreten, und sich erst einmal anhören, was sie zu sagen hatte. Sorgsam legte sie sich ihre Begrüßungsfloskel zurecht, während sich durch die geriffelte Glasscheibe eine Gestalt der Haustür näherte. Anna atmete tief durch und sah erwartungsvoll zu, wie sich die Tür langsam öffnete.
    Es traf sie wie ein Schlag. Anna hatte sich oft gefragt, was es hieß, sich auf den ersten Blick zu verlieben. Sie hatte sich vorgestellt, durch eine rosa Brille zu sehen und jeden auf der Welt umarmen zu wollen. In diesem Augenblick erhielt sie die Antwort auf die Frage, doch sie stimmte nicht im Entferntesten mit dem überein, was sie sich ausgemalt hatte. Amors Pfeil traf sie brutal ins Herz und durchbohrte zusätzlich ihre Lungen. Bei seinem Anblick vergaß sie zu atmen.
    Sie sah nicht rosa und verspürte erst recht kein Glück. Viel eher erstarrte sie zu Eis. Dennoch hob sich ihre Welt kurz aus den Angeln und ihr wuchsen Flügel. Die Zeit schien stehen zu bleiben und doch raste sie vorwärts. Die Umgebung verblasste, die hellblauen Augen des jungen Mannes fesselten ihren Verstand. Warum sie hier war, der Grund ihrer Sorgen, alles passé. Es war ein überwältigendes Zusammenspiel aller möglichen Komponenten. Bisher hatte sie nicht wirklich gewusst, was Schönheit bedeutete, und diese schien unvergänglich. Sie starrte in das vollkommenste Gesicht der Welt … Er sah aus wie ein Engel aus ihren schönsten Träumen.
    Seine Muskeln zeichneten sich unter dem eng anliegenden T-Shirt ab, aber das nahm sie nur am Rande wahr. Sein Gesicht hingegen hielt sie gefangen. Die pechschwarzen Haare umrandeten einen sonnengebräunten, makellosen Teint. Seine dunklen Wimpern und Augenbrauen ließen seine Augenfarbe noch schärfer herausstechen, als sie es ohnehin schon getan hätten. Sie funkelten eisblau. Anna konnte nicht einschätzen, ob sie freundlich blickten, denn etwas an ihnen jagte ihr einen Schauder über den Rücken. Er war gefährlich, seine Schönheit konnte sie nicht täuschen.
    Er räusperte sich und seine Mundwinkel zuckten. »Ja?«
    Seine Frage riss sie unsanft aus ihren Träumen. Mist, sie starrte ihn an! Anna errötete und wandte schnell den Blick ab. »Mein Name ist Anna Graf und ich bin mit Marla verabredet.« Es kostete sie Mühe, nicht etwas anderes zu sagen, und ihre Stimme bebte unter der Anstrengung. Hatte sie sich im Haus geirrt? Aber das konnte eigentlich nicht sein, es gab kein weiteres.
    »Ach, das Medium. Du bist früh dran, Marla ist ein paar Brötchen besorgen. Komm doch rein.« Einladend gab er die Tür frei und ihr Blick fiel in den hallenartigen Flur. Obwohl das Fachwerkhaus wie vermutet sehr alt zu sein schien, wirkte die

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