Gefaehrlich begabt
manikürter Fingernagel abbrechen, wenn du zur Abwechslung mal einen Handschlag tust?«
Sally schluchzte. Die Fassungslosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie versuchte sichtlich, sich zu sammeln und erhob sich von ihrem Stuhl. »Ich wollte eigentlich noch etwas ganz anderes mit dir besprechen, aber es war wohl ein Fehler, nach Absolution zu suchen.« Mit dem Buch dackelte sie heulend zurück ins Wohnzimmer.
Anna schüttelte den Kopf und sah ihr nach. Wenn Sally in einer Sache gut war, dann darin, eine Show abzuziehen. Das Donnerwetter, das sie später erwarten würde, malte sie sich schon aus. Aber ihr Vater war auch so ein Trottel! Wollte er tatsächlich dieses Püppchen heiraten? Himmel, jemand musste ihm auch noch das letzte bisschen Verstand geraubt haben. Gut, dass sie bald achtzehn wurde, dann brauchte sie sich das Dilemma zumindest nicht lange zu geben.
*
Sebastian lenkte den Sportwagen die gepflasterte Auffahrt hinauf. Der edle Winkelbungalow befand sich am Ende einer Privatstraße. Durch die bodentiefen Fenster konnte er ins Haus spähen, entdeckte aber niemanden. Bevor er die Wagentür schloss, erschien Kira im Eingang des Wohnhauses.
»Da bist du ja endlich! Konntest du was erreichen?« Kira wischte sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht und sah ihn erwartungsvoll an.
Sebastian drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die rot geschminkten Lippen. »Lass uns das drinnen besprechen.«
»Der Rest sitzt im Garten. Dein Vater schlägt einen nach dem anderen im Schach.«
Sebastian folgte ihr durch den Flur, den teure Ölgemälde schmückten. Eine dicke Staubschicht bedeckte sie. Niemand in diesem Haus hielt sich dafür verantwortlich, einer banalen Tätigkeit wie dem Putzen nachzukommen.
»Welch seltener Gast«, witzelte sein Bruder Josh. Der Nachdruck der Aussage schmeckte fahl.
Seit Franks Tod ließ er sich zu Hause kaum blicken. Marla brauchte ihn. Die Tatsache, dass er vielleicht nicht nur deshalb für sie da war, um ihr Misstrauen nicht zu wecken, ignorierte er bisher erfolgreich. Der Gedanke durchlief ihn nur kurz, dann verbarg er ihn erneut tief.
»Hi.«
Er küsste seiner Mutter auf die Wange und klopfte seinem Vater auf die Schulter. Jonathan Fingerless war in sein Schachspiel vertieft und reagierte nicht.
»Schachmatt«, sagte er schließlich und setzte Joshs König matt. »Ein Moment der Unachtsamkeit reicht aus. Wie oft muss ich meine Söhne das noch lehren?«
Sebastian setzte sich neben seine Mutter, Kira drängelte sich auf seinen Schoß.
»Was gibt es zu berichten?« Das Familienoberhaupt sah ihn eindringlich an.
»Nicht viel. Ich darf der Hexe gegenüber nicht aufdringlich werden, sie schöpft sonst Verdacht. Sie hat ohnehin schon das Gefühl, dass ihr Mann nicht einfach beim Klettern starb.«
»Hm. Ist es ihr Talent überhaupt wert, zu warten?« Thea Fingerless verzog skeptisch das Gesicht. »Ich meine, was kann sie schon, was wir nicht können?«
»Sie hat die Macht über die Elemente. Ich habe sie einen Regen beschwören sehen.«
»Glaubst du denn, sie wird dich als Erben einsetzen? Sie hat doch eine Tochter.«
»Sie wird Jenny ihr Talent nicht vermachen. Sie versucht, ihre Tochter um jeden Preis zu schützen, und vertritt die Ansicht ihres Mannes, dass Magie einem Menschen das normale Leben verdirbt.«
»Wie lange wirst du schätzungsweise noch brauchen?« Jonathan steckte sich eine Zigarre zwischen die Lippen. Den menschlichen Lastern verfiel er öfter.
»Zwei, vielleicht drei Wochen. Aber, was viel interessanter ist, das Medium ist aufgetaucht.«
»Die Erbin dieser Eva?«
»Ja und ich behaupte, sie hat mich gern. Meine Empathengabe ließ es mich deutlich spüren. Sehr verwirrend, solche Gefühle zu empfangen.« Wie er in ihrer Gegenwart empfand, ließ er besser aus. Er wusste ja nicht einmal sicher, ob es wirklich seine Gefühle waren, die zu ihm sprachen.
»Ihre Tante hatte Schneid. Eine Schande, dass die wenigen Menschen, die ein Leben verdient haben, immer die sein müssen, die sich uns in die Quere stellen wollen«, sagte Jonathan und nahm einen tiefen Zug seiner Havanna.
Kira lehnte die Wange an Sebastians Schulter und sah zu ihm auf. »Ich hab doch hoffentlich keinen Grund zur Eifersucht?«, hauchte sie ihm ins Ohr.
Grinsend schüttelte Sebastian den Kopf, aber Josh hatte die leise Frage gehört.
»Hast du, Kira. Ich lese es in seinen Gedanken.«
»Du bist echt nervig, Josh. Seit du diesem Gedankenleser sein Talent abluchsen konntest, bist du
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