Gefaehrlich begabt
Wangen.
»Langweilig also, ja?«
»Ich nehm’s zurück. Ich nehme es hundertprozentig zurück, aber bitte … bitte verschone mich mit deinen Karaokekünsten!«
»Es hat dir nicht gefallen?« Enttäuscht verzog er sein perfekt geschnittenes Gesicht, nur seine Mundwinkel verrieten, dass er ein Grinsen unterdrückte.
Annas Herz kam für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Takt. »Also bei einer Castingshow solltest du dich nicht bewerben, nein.«
»Halbgötter können eben auch nicht alles«, sagte er trocken, um seine Augen bildeten sich schon wieder Lachfältchen. Na super! Mit diesem Wort würde er sie wohl noch ihr ganzes Leben aufziehen, da hatte sie sich ja was eingebrockt.
Anna sah aus dem Fenster, sie kannte die Gegend. Sie mussten schon ein paar Kilometer gefahren sein. Sebastian lenkte den Wagen zum Rhein. Der Audi ruckelte durch einige Schlaglöcher, ehe Sebastian bei einer kleinen Anlegestelle parkte.
»Das wolltest du mir zeigen? Den Rhein?«
»Sei nicht so ungeduldig. Ihr Menschenfrauen seid unmöglich.«
Ihr Menschenfrauen? Ihr blieb keine Zeit, nachzufragen.
»Na los, hopp!« Sebastian spurtete aufs Wasser zu.
Anna blieb demonstrativ stehen. Einige Boote lagen im Hafen, sofern sie die kleine Anlegestelle so bezeichnen wollte. Obwohl sich die Sonne inzwischen einen Weg durch die Wolkendecke bahnte, lag das Wasser verlassen vor ihnen. Keine Jogger, keine Hunde, nichts. Für gewöhnlich wimmelte es am Fluss von Frischluftfanatikern.
Sebastian kletterte auf ein Boot und wandte sich ihr zu. »Was ist? Hast du Angst?«
»Ist das dein Boot?«
In Annas Welt besaßen Menschen, die keiner offensichtlichen Arbeit nachgingen und einen Sportwagen fuhren, mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein Schiff. Allerdings stellte sie sich eigentlich eine Jacht vor.
Sebastian lachte. »Nein. Das ist das Boot vom Kapitän. Komm schon!«
Sie verbannte die Zweifel in den hintersten Winkel des Kopfes und sprang an seiner ausgestreckten Hand an Deck.
»Es ist ein Hausboot, der Kapitän wohnt hier.«
»Und wer ist dieser Kapitän?«
Ratlos zuckte er die Schultern. »Alle nennen ihn bloß den Kapitän. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht, ich glaube, den kennt niemand. Er ist einer von uns.«
»Ist das nicht Hausfriedensbruch oder so was?«
Wehmütig sah sie über die Reling. Das Wasser und das Boot erinnerten sie an die Nordsee. Ein kleiner Stich durchfuhr ihr Herz, als sie an Eva dachte. Sebastian schien es gespürt zu haben, denn er trat auf sie zu.
»Das war unsensibel von mir, oder?« Sein Blick wirkte besorgt.
Seine Miene besaß einen unglaublichen Spielraum. Von kalt bis weich hatte er jedes Gesicht auf Lager. Welches war echt?
»Nein, ganz und gar nicht. Es ist schön hier.« Sie seufzte.
Sebastian lehnte sich gegen die Reling und beobachtete sie.
»Kriegen wir keinen Ärger, wenn wir allein auf seinem Boot rumturnen?«, versuchte Anna, ihn abzulenken. Sie errötete schon wieder. »Oh, wir sind nicht allein.« Ihr Blick glitt über das hölzerne Deck. Ein dicker Fisch lag auf dem Boden. Anna kannte sich mit Wassertieren nicht aus, sie bemühte sich, sich daran zu erinnern, ob sie ein solches Tier schon einmal gesehen hatte. »Der lebt ja! Wir sollten ihn schnell zurück ins Wasser werfen.«
Plötzlich begann das Hausboot heftig zu schaukeln und zu vibrieren. Sie ruderte mit den Armen, bekam aber nichts zu fassen, an das sie sich klammern konnte. Hoffentlich kam Sebastian ihr zu Hilfe, ihre Balance drohte, zu kippen. Doch er lachte nur. Lachte er sie etwa aus?
Unsanft landete Anna auf dem Hosenboden und saß unmittelbar vor dem Fisch. Er zappelte und schlug die Schwanzflosse schnell auf das Deck, der glitschige Körper klatschte auf das Holz. Brachte der Fisch das Boot zum Schaukeln? Wie schaffte es dieser kleine Fisch, das Boot so heftig ins Wanken zu bringen?
Sebastian brachte seinen Lachanfall hinter sich und zog sie ein Stück von dem Tier weg. Anna hielt den Blick starr auf den Fisch gerichtet. Sie fuhr sich über die Augen. Das Wassertier wuchs massiv an und blies sich auf. Plötzlich hatte er Ähnlichkeit mit einem Babywal. Sie keuchte auf. Kein Fisch der Welt veränderte einfach mal so seine Größe ums Zehnfache. Sie rechnete damit, dass er jeden Moment platzte.
Auf einmal sah sie nichts mehr. Abnorme Helligkeit blendete sie. Weißes Licht flutete das Deck. Sie kniff die Augen fest zusammen. Das grelle Licht stach durch die Lider. Sie traute sich erst, die Augen zu öffnen, als es auf
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