Gefaehrlich begabt
Magnolienbäume an die Mauer gelehnt. Seine eisblauen Augen fixierten sie. Annas Herz machte einen Satz. Sie ließ Vanessa quatschend auf der Bank sitzen und spurtete über den Schulhof.
»Was tust du denn hier?« Ihre Stimme überschlug sich.
»Ich hole jemanden ab«, antwortete er kühl.
»Ach so.« Anna senkte den Blick und betrachtete angestrengt ihre Turnschuhe. Das Blut schoss ihr in den Kopf und sie wünschte sich, der Boden täte sich auf.
Der Schulgong klang über den Pausenhof, die Menschenmassen strömten in das große Gebäude. »Ich schätze, das ist mein Zeichen«, stammelte sie und wandte sich schnell ab.
Kalte Finger umfassten ihr Handgelenk und hielten sie zurück. Sebastian grinste frech. »Ich warte auf deine Antwort.«
»Welche Antwort? Du hast nichts gefragt.«
Sein Grinsen veränderte sich in ein leises Auflachen. »Mein Fehler. Hast du Lust, mich zu begleiten?«
»Ich?«
»Wen kenne ich denn sonst hier?« Ratlos blickte er sich um.
Ein dicker Stein fiel ihr wahrscheinlich sogar hörbar vom Herzen. Er besuchte sie! »Eigentlich habe ich Unterricht.« Anna biss sich auf die Unterlippe und tippelte von einem Fuß auf den anderen, während sie der Schule einen Blick zuwarf.
»Verstehe, ich dachte nur, es könnte dich interessieren.« Seine Augen blitzten schelmisch auf, sein strahlender Blick hielt sie gefangen. Ihr Körper überzog sich mit einer Gänsehaut.
»Mich könnte was interessieren? Sprich nicht in Rätseln.« Ihre Stimme klang betont lässig, sie musste sich schwer zusammenreißen, nicht schon zum Wagen zu laufen.
»Ich will dir etwas zeigen. Oder vielmehr jemanden vorstellen.«
Anna gab sich einen gespielten Ruck. »In Ordnung, du hast mich. Lass uns abhauen.«
Sebastian drückte sich von der Mauer ab und schnellte zum Auto. Der Lump hatte mit ihrer Reaktion gerechnet. Er hielt ihr die Beifahrertür auf und zeigte mit einer einladenden Geste ins Wageninnere. Anna folgte ihm und versuchte, in den Audi zu klettern. Doch plötzlich versperrte er ihr den Weg. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf, sie roch ein teures Aftershave. Ihr Magen schlug einen nervösen Salto, aber sie war inzwischen geübt darin, diese Situationen zu meistern. Herausfordernd hielt sie seinem Blick stand. Seine eisblauen Augen durchbohrten sie, spießten sie auf.
»Was ist?« Ihre Stimme klang fester als erwartet.
»Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht doch zur Schule möchtest.«
»Blödmann!« Sie schubste ihn aus dem Weg und stieg in den Wagen. Lachend schloss er die Tür.
»Wohin fahren wir?«, fragte sie, als er den Motor startete.
»Du darfst alles essen, aber nicht alles wissen«, fegte er die Frage mit einer Floskel vom Tisch. »Schnall dich an.« Sebastian besaß die dumme Angewohnheit, beim Fahren kein Wort zu sprechen.
Anna erinnerte sich, wie er sie nach Hause gebracht hatte. Um sich die Zeit zu vertreiben, wollte sie das Radio anschalten. Sie streckte die Hand aus, aber blitzschnell landete seine auf ihrer.
»Hat dir das einer erlaubt?« Seine Stimme klang zornig, doch er lächelte.
Anna beschlich der Verdacht, dass seine unverhofften Berührungen nur ein Ziel verfolgten. Er wollte sie verwirren und es funktionierte. Sie schnaufte und schlug seine Hand beiseite, um einen Kanal zu suchen. »Du bist langweilig, wenn du Auto fährst.« Sie lehnte sich in die gemütlichen Polster zurück. Sollte er doch fahren, wohin er wollte.
»Ich bin langweilig?« Er verzog das Gesicht und warf ihr einen kurzen Blick zu. »Na warte!« Er drehte das Radio bis zum Anschlag auf und wechselte den Sender. Ein alter Countrysong schmetterte durch die Lautsprecher und Anna widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten. Wer hörte heutzutage noch solche Musik? Dann tat er etwas, womit sie absolut nicht gerechnet hätte. Er sang mit. Schief und krumm trällerte er jedes Wort des Liedes nach. Es hörte sich so scheußlich an, dass sie lachen musste und nicht aufhören konnte. Sie hielt sich den Bauch und versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen, aber sie schaffte es nicht, ihm den Mund zuzuhalten. Ihr Lachen ging in ein bittendes Gejammer über, doch Sebastian kannte kein Erbarmen. Bis zum bitteren Ende des furchtbaren Songs hörte sie sich seine vergeigten Töne an und atmete auf, als der Sänger die letzte Silbe aushauchte und die Gitarrenmusik aus den Boxen verklang.
Sebastian warf ihr einen Blick zu und drehte die Lautstärke runter. Ihr tat der Bauch weh und sie wischte sich die Tränen von den
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