Gefaehrlich begabt
Möglichkeit gibt, gefahrlos einen Rachegeist zu beschwören. Wir müssen mit Eva sprechen.«
Anna schluckte. Diese Frau sollte ihr dabei helfen, Eva herbeizurufen? Ein kalter Schauder lief ihr über den Rücken. Das letzte Auftauchen ihrer Tante hatte sie nur schwer verkraftet. Sie wollte nicht riskieren, dass die Erlebnisse ihre Erinnerungen an die echte Eva trübten.
»Marla, meinst du nicht, es wäre leichter, wenn wir deinen Mann beschwören?«, fragte sie zögerlich. Die Idee geisterte ihr schon eine Weile im Kopf herum, aber sie hatte sich bisher nicht getraut, sie auszusprechen.
»Nein«, entfuhr es Marla. »Auf keinen Fall. Frank glaubt bestimmt, deine Tante kümmert sich um die Angelegenheit. Glaubst du, er findet seinen Seelenfrieden, wenn er weiß, dass sie nach der Séance ermordet wurde? Einen weiteren Rachegeist brauchen wir nicht, Frank hat das nicht verdient!« Ihr quollen Tränen aus den Augen. Die sonst so starke Marla zitterte am ganzen Körper.
Anna verstand sie. Auch sie gäbe alles dafür, dass es Eva im Jenseits gut ging. Dafür war er doch da, der Tod. Für Frieden …
»Okay, dann also Emily Roseberg«, sagte sie und versuchte, Zuversicht mitklingen zu lassen. Sie mochte Marla nicht noch mehr aufwühlen.
»Setz dich.« Marla beruhigte sich und deutete auf den Kreis. Sie zündete die Kerzen an, bevor sie sich neben Anna niederließ und die Tränen aus dem Gesicht strich.
Anna rieb sich die feuchten Hände, ihr Herz schlug eine Spur schneller als gewöhnlich. »Wie rufe ich sie?«
»Du wirst in die Schattenwelt tauchen, wie immer. Du musst dir Emilys Bild gut einprägen, denn du musst wissen, wen du rufst. Du brauchst nicht laut zu sprechen. Ruf sie im Geist zu dir und spreche ihren Namen in Gedanken aus.«
»Sie kann das hören?«
»Das Jenseits ist riesig, aber ein Medium hat mentale Fähigkeiten. Sie wird es hören und wissen, was los ist. Schließlich kennt sie deine Gabe. Glaub an dich Anna. Du wirst das schaffen.«
»Wird sie wütend sein?« In der Magengrube flackerte Nervosität auf und sorgte für ein lautes Grummeln.
Marla schüttelte den Kopf. »Nein, sicher nicht. Aber vielleicht ist sie zunächst etwas verwirrt. Sprich sie in jedem Fall mit ihrem Namen an, es hilft ihr, sich zu orientieren. Aber da ist noch etwas, dass du wissen solltest …« Marla atmete tief ein. Das, was sie sagen wollte, sagte sie offensichtlich nicht gern. Anna befürchtete, zu wissen, was folgen würde.
»Das Salz hält zwar die böse gesinnten Geister fern, aber es hindert sie nicht, zu versuchen, dich ins Jenseits zu locken.«
Eine eisige Faust schloss sich um ihs Herz. »Du sprichst von Eva?«
Marla bewegte zögerlich den Kopf. »Ja, du musst damit rechnen.«
»Wie wird sie das anstellen?«
»Das weiß ich nicht, aber mach dich auf alles gefasst. Unter keinen Umständen wirst du die Schattenwelt verlassen, okay? Wenn du merkst, dass du nur im Entferntesten auf die Idee kommst, öffnest du die Augen. Verstanden?«
Anna verstand, aber ihr blieben die Worte im Hals stecken.
»Bist du bereit?«
Nach der letzten Aussage fühlte sie sich alles andere als bereit, trotzdem nickte sie. Was hatte sie für eine Wahl?
Die Stimme ihrer Gabe erklang sofort und sie betrat die Schattenwelt. Der Übergang ging nahtlos vonstatten, so gut klappte es sonst nie. Sie hörte ihren Herzschlag, noch immer trommelte er eine Spur zu schnell. Innerlich rief sie sich zur Ruhe. Der Lavendel tat seine Wirkung und der wohlige Duft breitete sich in ihr aus, verbot der Angst, Oberwasser zu erlangen. Seelen durchquerten ihr Blickfeld, sie beachtete sie nicht. Das schwache Licht der Kerzen erhellte die Umgebung. Sie konzentrierte sich auf die leise Melodie und rief sich das Bild des alten Mediums vor das geistige Auge.
»Emily Roseberg? Ich suche das Medium Emily Roseberg. Sind Sie hier irgendwo?«
Unruhig flackerten die Schatten auf, die Seelen fühlten sich gestört. Sie konnten sie nicht sehen, aber Anna glaubte, sie spürten die Nervosität. Sie schüttelte die Gedanken ab, nahm sich zusammen und versuchte, sich noch weiter zu beruhigen. »Emily Roseberg? Bitte folgen Sie meiner Stimme!« Annas Blick schweifte durch die Schatten, doch außerhalb des Kerzenscheins herrschte tiefe Dunkelheit.
»Ich brauche Ihre Hilfe. Emily, bitte kommen Sie zu mir!«
In der Ferne erschien ein helles Licht. Sah es so aus, wenn eine Seele auf sie zukam? Ihr Puls beschleunigte sich. Hoffentlich machte sie alles richtig. Was, wenn
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