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Gefaehrlich begabt

Gefaehrlich begabt

Titel: Gefaehrlich begabt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Olmesdahl
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den Leuten konnte sie keine Hilfe erwarten.
    Der Bus durchbrach die Absperrung und raste in die Baustelle. Ein gelb gekleideter Mann schwenkte wild eine Fahne, die Fassungslosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Der Busfahrer kannte kein Pardon. Obwohl das Aufleuchten der Erkenntnis kurz in seinen Augen aufflackerte und er voller Angst durch die Windschutzscheibe starrte, besaß der Fluch zu viel Macht. Ohne den Anflug eines Abbremsversuches kollidierte der Bauarbeiter mit dem Bus. Es riss ihn hoch in die Luft. Der Aufschrei blieb Anna im Hals stecken, denn der Bus geriet gefährlich ins Schaukeln.
    Sie würden sterben, alle, wenn sie nicht sofort einschritt. Kraftvoll zog sie sich hoch und krabbelte über den Boden bis zum Fahrer. Mit Gewalt trat sie ihm gegen das rechte Bein. Der Fuß rutschte vom Pedal, doch sofort stellte er ihn wieder darauf und gab Vollgas. Ihr nächster Tritt schlug fehl, er wehrte sie teilnahmslos, aber bestimmt, mit dem Arm ab. Kira hielt die Karten in der Hand. Anna betete, dass es schnell ging.
    Die Barriere vor der Brücke näherte sich rasend schnell, eine Atemlänge lag noch zwischen ihnen. Sie kauerte sich auf einem Sitz zusammen und wagte einen letzten Blick aus dem Fenster. Der Bus raste im Affenzahn auf das Geländer zu. Hastig vergrub sie den Kopf zwischen den Knien und schloss die Augen. Das Brechen von Metall und ein harter Stoß ließen sie wissen, dass es passierte. Sie machte sich auf den Tod gefasst. Ihr schoss Adrenalin durch den Körper. Der Aufprall würde nicht wehtun, so was überlebte ohnehin niemand. Wenigstens musste sie nicht länger mit Sebastians Verrat leben. Es wäre sowieso alles sinnlos, ohne ihn.
    Plötzlich zersprang die Frontscheibe. Glas brach, zerfiel in Scherben. Kräftige Hände griffen nach ihr, zogen sie an einen starken Körper. Sie fiel weiter, aber ein Luftzug streifte sie. Annas Gedanken überschlugen sich. Sie war sich nicht sicher, ob es sich um Rettung oder eine weitere Gräueltat handelte. Sie krallte sich fest in die fremde Schulter. Wer zog sie aus dem Bus und warum?
    Sie landeten hart auf den Füßen. Ein Knacken durchzog ihr Sprunggelenk und der Schmerz schoss durchs Bein. Sie keuchte auf. Ein ohrenbetäubender Knall ließ ihr Trommelfell vibrieren. Die Druckwelle verhinderte das Atmen, heiße Luft versengte die Haut. Ein fliegendes Metallstück riss ihr eine tiefe Wunde in die Schulter. Sie schaffte es nicht, die Lider zu heben. Die Lungen füllten sich mit beißendem Rauch, sie glaubte zu ersticken.
    Ihr Retter schmiss sie über die Schulter und krabbelte einen Abhang hinauf. Konnte sich ein Mensch so schnell bewegen? Die Bewegungen ließen Übelkeit aufkeimen. Warum war es nicht einfach vorbei? Sie war doch sowieso so gut wie tot. Der Schmerz im Bein trieb Tränen in die Augen, sie kniff sie fest zusammen.
    Plötzlich bremste ihr Retter ab und sie landete hart auf der Erde. War das Laubboden? Ihre tauben Finger wollten es nicht bestätigen. Gierig schnappte sie nach Luft. Ihr fiel das Atmen schwer, die Luft schmeckte verbrannt. Aber es war Sauerstoff, ihre brennenden Lungenflügel füllten sich mit dem lebenswichtigen Gas.
    »Anna?«
    Die Stimme klang meilenweit entfernt und so dumpf, als hätte sie Watte in den Ohren. Erstaunlich, dass sie überhaupt noch etwas hören konnte. Sie glaubte, die Explosion hätte ihr Gehör total zerstört.
    »Anna, bitte sieh mich an!« Kalte Hände schlossen sich um ihren Kopf und schüttelten sie sanft. »Bitte bleib bei mir. Sieh mich an!«
    Starke Arme zogen ihren Oberkörper hoch. Es kostete all ihre Kraft, die Lider zu heben. Licht stach in die Augen. Sie erkannte den Retter nur schemenhaft.
    »Gott sei Dank!« Fest presste er sie an sich. Sie lief Gefahr, sich eine Rippe zu brechen.
    Langsam löste sich der Schleier vor ihren Augen wie der aus ihrem Gehirn. »Sebastian?«, fragte sie schwach. Ein hässlicher Hustenanfall schüttelte sie.
    »Ja, ich bin’s. Alles ist gut.«
    Sie vergrub ihr Gesicht in seiner Kleidung und schluchzte. Vorsichtig strich er ihr übers Haar. Sein Körper bebte. In ihrem Kopf herrschte ein einziges Chaos. Gedanken überschlugen sich, ließen sich nur schwer sortieren. Was war geschehen?
    Mit einem Schlag trat die Erkenntnis ins Bewusstsein. Angst bohrte sich durch ihren Körper, zerfraß ihren Verstand. Sie keuchte auf, löste sich umständlich aus dem klammernden Griff. Sie vergaß den Schmerz im Bein und warf sich zur Seite. Sie versuchte, so viel Abstand wie

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