Gefaehrlich begabt
blieb als einziger Ausweg ihr eigener Tod.
27. Kapitel
Freunde und Feinde
A us den Scherben der Verzweiflung baute man den Charakter. Anna zählte sich schon immer zu den starken und mutigen Menschen, aber in dieser Sekunde erschufen sie eine Löwin. Bereit, zu kämpfen, wenn nötig in der Schlacht zu sterben …
Der Diaprojektor bildete eine Fotografie auf der Wand ab, die ihre letzten Zweifel über Bord warf. Der Beirat war Feind, nicht Freund.
Sie hatte die Hand zwischen die Zähne geschoben, um nicht aufzuschreien. Jemand hatte sie entführt, sie galt als das perfekte Druckmittel. In die dunkle Ecke eines Kerkers gedrängt, blickte sie aus weit aufgerissenen Augen in die Kamera. Mama!
»Was haben Sie mit ihr gemacht?«, zischte Anna leise. Im Inneren loderte der Zorn. Sie stand kurz davor, zu explodieren.
»Gar nichts. Nichts liegt uns ferner, als Ihrer verehrten Frau Mutter etwas anzutun, Anna. Solange Sie nicht querschießen, heißt das.«
Robert Pearson konnte noch so scheinheilig tun, Anna blickte auf die Abgründe seiner Seele. Falls er so etwas überhaupt besaß.
»Es ist niemand aus freien Stücken hier, oder?«
Ein Blick ins Gesicht der anderen verriet, dass sie recht hatte. Sie sahen unglücklich, ängstlich, traurig, verzweifelt aus. Sie kämpften alle für einen geliebten Menschen, nicht bloß für sie.
»Jedem bleibt es überlassen, sich uns anzuschließen oder nicht. Können wir jetzt fortfahren? Es ist bald Mittagspause.« Robert besah sie mit einem Lächeln.
Anna wandte den Blick ab. Es durchlief sie heiß, kalt und schaurig.
Aldwyn sprach weiter. »So, hier sehen Sie Sebastian Fingerless, 1911 in Deutschland geboren. Er ist ein Meister der Manipulation, wie wir am Beispiel unserer Miss Graf erfahren durften. Sebastian war eine lange Zeit seines Lebens in unserer Obhut, sicher weggesperrt. Dies wird der Grund sein, weshalb erst neun Morde auf sein Konto gehen. Unterschätzen Sie ihn deshalb nicht. Er ist ein eiskalter Killer.«
Ihr Puls beschleunigte sich und mit jedem Schlag gegen ihre Schläfen breitete sich ein Schwindelgefühl aus. Sie musste raus! Mit schnellen Schritten stolperte sie aus dem Saal und rannte die Treppe hinauf.
»Mister Graf! Setzen Sie sich wieder hin«, hörte sie Robert donnern. Ihr Vater wollte wohl hinter ihr her.
Zuerst steuerte Anna das Schlafzimmer an, überlegte es sich aber anders. Eine gigantische Welle Übelkeit schwappte hoch, sie schaffte es soeben noch zur Toilette. Schwallartig übergab sie sich in die Schüssel, obwohl sie kaum etwas gegessen hatte. Sie leerte sich restlos und lehnte sich erschöpft gegen die Badezimmerwand. Kraftlos glitt sie hinunter. Ihr Körper fühlte sich taub an.
Es interessierte nicht, wie sich das Verhältnis zu ihrer Mutter entwickelt hatte. Sie war und blieb ihre Mutter. Wie sollte sie zwischen ihr und Sebastian entscheiden? Unvorstellbar. Dennoch sah sie die Antwort klar vor sich, als blickte sie in eine Kristallkugel.
Eva hatte immer gesagt, man müsse den Teufel bei den Hörnern packen und genau das nahm sie sich vor. Der Beirat mochte sich als das Gute darstellen, aber schlussendlich waren und blieben sie eins; unmenschlich. Die Magier und sie bestanden aus derselben Materie und ihr kamen Zweifel, dass sie tatsächlich besser waren.
Sie empfinden nicht . Der Gedankengang bestätigte sich wohl. Ihr blieb nur eine Wahl. Sie würde sich gegen beide stellen müssen. Magier und Beirat, um den Teufel bei den Hörnern zu packen. Sie würde kämpfen müssen, bis sie sie in der Hand hielt. Sollten die Halbengel doch allesamt in der Hölle schmoren!
*
Er schlief sehr schlecht. Die wenigen Minuten, die er doch eindöste, begleiteten schlimme Träume. Längst hatte sich der Horror in das Leben eingeschlichen und die Albträume nahmen bereits Gestalt an. Das Erlebte verdaute er nur schwer, seine Gedanken kreisten unablässig um Anna. Wohin brachte der Beirat sie? Er erinnerte sich an die sorgenfreie Zeit, in der er die meisten Emotionen noch nicht gekannt hatte. Sie gefiel ihm besser. Gefühle zu haben , bedeutete, Schmerzen zu erleiden. Wie ein Mensch das ein Leben lang aushielt, blieb ihm unbegreiflich. Seine Gedanken schweiften zu Marla. Ihr Tod spannte ein Netz aus Trauer in seinem Kopf und er drohte, sich darin zu verheddern. Wieso hatte er sie nicht beide beschützen können? Warum, zum Teufel? Wie vergänglich das Leben doch war. Es war ihm nie bewusst gewesen, obwohl er oft mit dem Leben gespielt hatte.
Seine
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