Gefaehrlich begabt
Angst und Schein. Anna mit dem blonden Haar, beschwört die Geister, macht sich rar. Die Kraft der Gabe, so steht es geschrieben, wird in der Nekromantie liegen«, rief sie durch den kleinen Saal.
»Gewiss, Miss Graf. So lautet die Prophezeiung. Sie spricht davon, dass Sie dazu berufen sind, die Fingerless aufzuhalten.«
»Erklären Sie das Wort Nekromantie, Robert.«
»Es bedeutet Totenbeschwörung und ist ein weiterer Hinweis darauf, dass Sie gemeint sind.« Der Engländer lächelte herablassend.
»Nekromantie ist die Fähigkeit, einen Toten auferstehen zu lassen. Und diese Macht habe ich nicht. Nicht ohne das Wissen aus den verschollenen Pergamenten.«
»Jetzt hören Sie auf mit diesem Quatsch, Anna. Wir haben nicht so viel Zeit«, ließ Robert barsch verlauten. »Sally war weniger kompliziert, den Unterschied zwischen Realität und Märchen zu erkennen.«
Sally konzentrierte sich schwer darauf, sie nicht anzusehen. Sie war besessen von ihren Ansichten gewesen. Wer hatte ihr eine Gehirnwäsche verpasst? Es stank zum Himmel.
»Können wir jetzt fortfahren?«
Anna beschloss, vorläufig den Mund zu halten.
»Wir haben uns für die Mutigsten entschieden. Für Menschen und Begabte, die Anna in jedem Fall den Rücken stärken würden. Deshalb seid ihr hier. Es gilt, Wissen zu erlangen. Wissen, mit wem man sich anlegt, und wie man sie besiegen kann.« Robert nahm seine Brille ab und trat vom Rednerpult weg. Er kam an die Tische heran und ging durch die Reihen, während er weitersprach. »Gott sandte einen Boten auf die Erde, einen Engel. Er wählte Menschen aus und stattete sie mit unseren Talenten aus. Sie sollten die Welt retten. Dummerweise trieben die Nachkommen der Talentierten ein wirkliches Übel mit ihren Kräften. Von seither kann man die Gabe nur noch mittels eines Testamentes weitergeben. Der Engel blieb noch lange Zeit als Aufpasser auf der Erde. Wir, der RFMB, sind direkte Nachkommen des Erzengels. Doch unsere Seite spaltete sich in zwei Glieder. Es gibt uns, die Wächter und sie, die Abtrünnigen. Und deshalb müsst ihr verstehen, was es heißt, gegen sie anzutreten. Durch einen Magier fließt Engelsblut.«
Anna sog scharf die Luft ein. Magier waren Halbengel? Das machte die Lage wohl nicht gerade besser. Aber es bedeutete auch, dass sie mit dem Beirat auf Augenhöhe standen. Wieso schickten sie Menschen in den Kampf? Wie sollten sie das gewinnen können? Es gehörte zu ihren Aufgaben …
»Damit Sie die Familie, mit der wir es gerade zu tun haben, ein bisschen besser kennenlernen, wird mein Kollege Aldwyn«, der zweite Greis erhob sich, »Ihnen ein paar Informationen geben.« Robert nickte dem Alten zu und ließ sich neben ihrem Vater auf einen Stuhl sinken. Er warf ihr einen strengen Blick zu.
Aldwyn räusperte sich. »Die Familie Fingerless besteht aus vier Mitgliedern. Fast hätte sich ein weiterer Teil in die Familie eingeheiratet, aber unsere tapfere Anna«, er schenkte ihr ein Lächeln und zeigte seine gelben Zähne, »war bereits so frei, die Welt von ihr zu erlösen. Somit bleiben nur noch vier Magier, die es zu vernichten gilt.«
Annas Herz zog sich zusammen – aus zweierlei Gründen. Zum einen wurde ihr bewusst, dass sie getötet hatte. Auch wenn es ihr notwendig und gerecht erschien, hatte sie gemordet. Des Weiteren sprach er von vier Magiern. Sebastian also inbegriffen. Es interessierte den RFBM nicht, dass er anders war als der Rest seiner Familie. Sie wollte etwas sagen, schimpfen oder schreien, aber ihr verschlug es die Sprache. Mühsam blinzelte sie ein paar Tränen weg und biss sich auf die Unterlippe. Das musste warten. Es brachte Nachteile mit sich, Schwäche zu zeigen. Sie musste später mit den anderen sprechen. Ihre Wut offensichtlich zu machen, erschien unklug.
Aldwyn schaltete einen Projektor ein und das Bild eines Mannes prangte auf der großen Wand. Er schien um die Vierzig zu sein, vielleicht ein klein wenig älter. Er hatte dunkles Haar und seine Gesichtszüge wirkten kalt. Seine Augenfarbe jedoch kannte Anna nur zu gut. Es waren Sebastians Augen, wenn sie auch ungleich gefährlicher blickten.
»Das ist Jonathan Fingerless«, hörte sie den Alten erzählen. »Jonathan ist das Oberhaupt der Familie und absolut unberechenbar. Vermutungen lassen darauf schließen, dass er 1809 hier in England geboren wurde. Es gibt seltsamerweise keine Aufzeichnungen darüber. Sie müssen wissen, meine Damen und Herren, ein Magier altert sehr langsam. Aber auch uns Halbengeln ist
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