Gefährliche Flucht - zärtliche Eroberung
Lügen ihrer Sorge um Lucien unnötig Nahrung gaben. Lucien hatte sie beschützt, nun war es an ihr, ihn zu beschützen. Sie konnte ihm den Brief unmöglich zeigen, ohne seine Anspannung zu verschlimmern. Doch was immer Farquharson meinte, mit seinen Gemeinheiten bezwecken zu können, sie würde ihn in die Schranken weisen.
Sie setzte sich an ihren Schreibtisch, schraubte den Deckel vom Tintenfass und nahm die Feder zur Hand. Wenn er ihren Brief gelesen hatte, würde Lord Farquharson sich keinerlei Illusionen mehr darüber hingeben können, dass ihr Ehegelöbnis ihr heilig war.
Am nächsten Morgen traf eine Nachricht von Mrs. Woodford ein. Die Pfarrersgattin war plötzlich erkrankt und bat Lady Tregellas dringend um einen Besuch. Madeline hatte gerade die Speisefolge für das Dinner überprüft, als ein Lakai ihr die hastig hingekritzelten Zeilen brachte. Sie unterbrach ihre Arbeit und dachte nach.
Natürlich musste sie Mrs. Woodford jede Unterstützung anbieten, die sie ihr geben konnte. Aber Lucien war an diesem Tag nach Tavistock geritten und würde nicht vor Einbruch der Dämmerung zurück sein. Was sollte sie tun? Seit ihrem Besuch bei Mrs. Porter hatte sie Trethevyn nicht ein einziges Mal ohne seine Begleitung verlassen, aber sie mochte Mary Woodford und wollte der jungen Frau gern helfen. Sicher würde Lucien es verstehen, wenn sie sich in diesem Fall über seine Anweisung hinwegsetzte. Sie konnte einen der Stallknechte mitnehmen, Betsy und der Kutscher würden sie ohnehin begleiten. Wenn die Männer außerdem noch eine Waffe dabeihätten, wäre für ihre Sicherheit gesorgt.
Sie läutete nach Betsy. „Mrs. Woodford ist krank geworden. Sie hat um meinen Besuch gebeten, und wir machen uns so schnell wie möglich auf den Weg.“ Madeline runzelte die Stirn. „John Hayley soll uns begleiten, und am besten bittest du ihn, einen großen Knüppel mitzunehmen.“
„J…John Hayley?“, stotterte Betsy und wurde rot.
„Ja, der Pferdeknecht mit den blonden Locken und den blauen Augen. Der mit den Oberarmen wie ein Fassbinder.“
Die Röte in Betsys Wangen vertiefte sich. „Er soll mitkommen, Mylady?“ Das Mädchen senkte den Blick und zupfte an seiner Schürze herum.
„Als unsere Leibwache“, bestätigte Madeline. Langsam dämmerte ihr der Grund für Betsys Verlegenheit. „Kennst du ihn eigentlich?“, fragte sie betont harmlos.
„Ja, schon …“, erwiderte Betsy, ohne sie anzusehen.
Madeline verkniff sich ein Lächeln. „Jedenfalls wirst du Gelegenheit haben, ihn dir genau zu betrachten. Er ist wirklich stark, weißt du.“
„Ja, Mylady, das ist er.“
„Und ich nehme an, viele Frauen finden ihn stattlich.“
„Ausgesprochen stattlich, Madam“, stimmte Betsy ihr zu.
„Nun, dann lauf los und sag Mr. Boyle Bescheid. Ich spreche unterdessen mit Mrs. Babcock.“
Betsy knickste und grinste übers ganze Gesicht.
Vier Stunden später war ihr das Lachen vergangen, genauso wie Madeline. Durchnässt von einem unaufhörlichen feinen Nieselregen und zitternd vor Kälte, standen die beiden Frauen am Straßenrand und sahen Mr. Boyle und John Hayley dabei zu, wie sie unter der Kutsche kauerten und die gebrochene Achse begutachteten.
„Wenigstens geht es Mrs. Woodford besser, und das Baby ist außer Gefahr.“ Madeline seufzte. „Nur die arme kleine Sally war ganz verstört, dass ihre Mama das Bett hüten muss.“
Aber Betsy hatte andere Sorgen als das Befinden der Pfarrersgattin. Sie erschauerte. „Der Geist von Harry Staunton spukt hier im Moor“, erklärte sie mit zittriger Stimme, „und er jagt jedem Todesangst ein, dem er erscheint.“
„Wer war Harry Staunton?“, wollte Madeline wissen.
„Ein Räuber und Wegelagerer. Sie haben ihn gehenkt, vor hundert Jahren, glaub ich. Und als sie ihn vom Galgen abschnitten, hat er noch geatmet. Aber er wurde trotzdem begraben … lebend, und seitdem spukt er in der Gegend von Bodmin herum.“ Mit dem Handrücken wischte Betsy sich ihre triefende Nase ab. „Oh Mylady, was sollen wir bloß machen, wenn er auftaucht?“
„Es gibt keine Geister, Betsy.“ Madeline legte dem Mädchen den Arm um die Schulter und drückte es an sich. „Du bist erschöpft und nass bis auf die Haut, und dir ist kalt. Wenn wir zu Hause sind, ist alles wieder gut.“ Sie ließ Betsy los und bückte sich. „Können Sie die Achse reparieren, Mr. Boyle? Und wie lange wird es dauern?“
Der Bedienstete kroch unter der Kutsche hervor und richtete sich auf. „Sieht nicht gut
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