Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
sie an.
»Aber morgen, oder wie?«, fragte sie schrill, dann packte sie hektisch ihre Sachen zusammen. »Das halte ich nicht aus. So kann ich mich nicht konzentrieren«, murmelte sie hysterisch und zog um in die erste Reihe. Alte Schabe, sie sollte ihre Flechtzöpfe nicht so stramm ziehen, dann wäre sie vielleicht insgesamt etwas lockerer. Herr Nowak nahm beim Reinkommen ihren Platzwechsel zur Kenntnis, sagte aber nichts. Na gut. Heidrun und ich würden wohl keine Freunde werden. Aber Nora, meine Fluchthelferin von gestern, winkte mir von der ersten Reihe aus zu. Ich winkte zurück. Herr Nowak gab uns ein paar Übungsaufgaben zu verschiedenen Abstandsberechnungen, und da diese meine Hirnkapazitäten nicht vollständig auslasteten, gab mir das Gelegenheit, meinen Plan für die Suche nach der Leiche zu schmieden. Ich war ganz in Gedanken versunken, als Heidrun Zumke auf einmal biestig aufschrie: »Hey, du sollst nicht bei mir abgucken!«
»Ich guck nicht bei dir ab. Das habe ich ja echt nicht nötig«, giftete Nora zurück. Du meine Güte, Heidrun Zumke war ja wirklich eine Paranoia-Braut.
»Ruhig Blut, Ladys«, mischte sich Herr Nowak ein. »Jeder konzentriert sich auf seine Aufgaben.«
Nach der Stunde kam Nora zu mir. »Und wie geht’s?«, fragte sie.
»Ganz okay«, antwortete ich ausweichend.
»Was war das für ein Typ, vor dem du gestern aus dem Fenster springen wolltest?«
»Ach, das war nur mein nerviger Leibwächter. Ich wollte shoppen gehen, aber das macht keinen Spaß, wenn einem so ein penetranter Typ auf der Pelle hängt.«
Sie lachte. »Das kann ich mir vorstellen.«
»Cool von dir, dass du mir geholfen hast.«
»Ist doch klar. Wieso fängst du eigentlich mitten im Schuljahr hier an?«, fragte sie. »Bist du gerade hierhergezogen?«
»Nee, bin bei der letzten Schule rausgeflogen.«
»Echt?« Noras Augen wurden kugelrund. »Warum?«
»Hab die Prüfungsunterlagen für eine Matheklausur geklaut.«
Sie stutzte. Dann lachte sie, sehr laut, irgendwie schrill. So lustig ist das auch wieder nicht, dachte ich. Als sie sich wieder gefangen hatte, fragte sie: »Erzähl, wie hast du das denn angestellt?«
»Berufsgeheimnis«, sagte ich und lächelte. »Ich erzähl’s dir vielleicht ein anderes Mal.«
Silvy hatte mich angefleht, ihr zu helfen, weil ihre Note in Mathe auf der Kippe stand. Ich wollte ihr Nachhilfe geben, aber sie meinte, sie bekäme das in der Prüfung niemals alleine hin, da wäre sie immer so nervös. Klar, dass ich ihr als beste Freundin helfen wollte. Unsere Mathelehrerin, Frau Simmerath, war furchtbar nett. Ich unterhielt mich öfter mit ihr. Über Mathe, über die Schulkonferenz, in der sie Mitglied war, über das Wetter, über den schulinternen Server, den sowohl Lehrer als auch Schüler benutzen konnten, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und wir unterhielten uns auch über ihren Hund. Er hieß Woodstock. Natürlich war es reines Glück, dass es letztlich so einfach ging. Als eine große Schulkonferenz über Qualitätsentwicklung stattfand, ging ich in unseren Informatikraum, öffnete die Schulwebseite, klickte auf den Button »Nur für Lehrer« und gab beim Login mit ihrem Namen das Passwort Woodstock ein. Die Namen von Haustieren sind als Passwörter äußerst beliebt. So auch bei Frau Simmerath. Die Prüfungsunterlagen fand ich auf Anhieb, USB-Stick rein, runterladen, fertig. Niemand hätte was davon gemerkt, niemand wäre zu Schaden gekommen, Silvy hätte ihre Punkte fürs Abi sammeln können und alles wäre bestens gewesen. Aber nein – sie musste mich ja unbedingt verpfeifen.
»Ein einziges Mal sollte dir auch mal was nicht gelingen«, hatte sie mir boshaft zugezischt, als ich meine Sachen aus dem Schließfach räumte.
»Du bist bescheuert, Silvy«, hatte ich geantwortet. »Was ist mir denn im letzten Jahr groß gelungen? Lukas will nichts von mir wissen, bei dem Physik-Wettbewerb habe ich total versagt und meine Füße sind noch weiter gewachsen und jetzt habe ich Schuhgröße einundvierzigeinhalb.«
Silvy hatte die Nase kraus gezogen und blöd geglotzt.
»Viel Glück beim Abitur«, hatte ich hinzugefügt. »Du wirst es brauchen.« Ich hatte die Tür zugedonnert, sodass sie zusammenzuckte, und war rausstolziert. Rachegedanken hatte ich tatsächlich gar keine gehabt, bis zu dem Moment, in dem mich Marcel, die alte Aua-er-hat-mich-gefoult-Sportpetze, auf meine angebliche Chlamydien-Infektion ansprach. Seitdem brodelt es schon ein kleines bisschen in mir, wenn ich an
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