Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
verschiedene Boxhandschuhe lagen. Er suchte mir ein Paar aus, nicht so dicke, wie sie die Boxer bei Kämpfen trugen, sondern kleinere, die die Fingerspitzen freiließen.
»Der Daumen liegt hier an.« Er positionierte meinen gekrümmten Daumen zwischen den ersten und zweiten Gelenken der geballten Finger. »Und dann schlägt man am besten nur hiermit«, sagte er und zeigte auf die Knöchel vom Zeige- und Mittelfinger. »Das ist die Schlagfläche. Wenn du mit den äußeren Knöcheln schlägst, besonders mit dem vom kleinen Finger, riskierst du ganz schnell eine Verletzung.«
Er zeigte mir, worauf ich noch achten sollte, dass ich das Handgelenk steif machen musste und immer gerade schlagen sollte. Er machte es mir vor, ganz ohne Bandagen, und noch im Anzug, und der Sack gab ein seufzendes Pong! von sich. Enzos Schlag hinterließ eine kleine Delle in dem dicken Leder.
»Jetzt du«, forderte er mich auf.
Ich probierte es ebenfalls. Der Sandsack zeigte mit einem zarten Ping! an, dass er über meine Versuche nur müde lächeln konnte. Eine Delle gab es bei mir natürlich auch nicht. Aber Enzo schien das nicht zu stören. »Gut so. Noch etwas mehr die Schulter einsetzen«, sagte Enzo. »Nicht nur aus dem Arm schlagen, sondern aus der Körperdrehung heraus.«
Ich schlug noch einmal zu, indem ich aus der Hüfte heraus den Arm nach vorne schwang. Ich merkte, dass ich mehr Kraft auf den Sack übertragen konnte. Es machte Spaß. Aber nach fünf Minuten taten mir schon total die Arme weh und ich ließ sie schnaufend sinken.
»Das geht ganz schön in die Muckis, was?« Enzo lachte.
Ich verdrehte die Augen und machte so lange weiter, bis ich mich nicht mehr rühren konnte.
»Für den Anfang ganz gut«, lobte Enzo, als ich total verschwitzt und ausgepowert aufhörte.
»Noch besser würde es gehen am lebenden Objekt«, schnaufte ich. »An dir zum Beispiel.« Ich tat so, als ob ich ihn auf den Oberarm hauen würde, stoppte aber kurz vorher ab.
Er fixierte mich mit seinen grünen Augen und sagte nach einer kleinen Pause: »Nahkampftraining machen wir ein anderes Mal.«
Obwohl ich weiterhin sauer über seine Daueranwesenheit war, ging es mir etwas besser. Ich schlief sehr gut und am nächsten Morgen herrschte immer noch so eine Art Waffenstillstand zwischen Enzo und mir. Das lag vielleicht auch daran, dass mir das Wochenende zu Hause irgendwie doch gutgetan hatte. Ich hatte endlich mein Buch ausgelesen, hatte ausgiebig gebadet und fühlte mich erstaunlich relaxt. Es war doch so, dachte ich mir an diesem Montagmorgen auf dem Weg zur Schule, dass das Leben viel zu schön war, um es sich selbst schwer zu machen. Und Detektivspielen war einfach zu anstrengend. Und zu gefährlich. Ich würde die Suche nach der Leiche zu den Akten legen. Das brachte doch sowieso nichts als Stress! Die Leiche war weg. Und ging mich überhaupt nichts an. Ich würde mich jetzt einfach auf die Schule konzentrieren, mich mit niemandem mehr anlegen und dann übernächstes Jahr mein Abitur ablegen, und dann wäre ich endlich frei und würde irgendeine geniale Reise machen. Australien wäre toll, da wollte ich schon immer mal hin.
»Tschüss, Enzo«, sagte ich freundlich, als ich vor der Schule ausstieg. »Bis nachher.«
»Ja, bis dann. Viel Spaß!« Das war bisher eindeutig die harmonischste Unterhaltung zwischen uns gewesen. Und es störte mich noch nicht mal. Dazu war ich einfach viel zu gut gelaunt. In der Eingangshalle quatschte mich Beatrix an.
»Guten Morgen«, grüßte sie. »Und? Dein Wochenende?«
»Ganz gut«, sagte ich. »Und wie war deins?«
»Okay. War im Kino. Mann, hab ich gelacht!« Sie kicherte, um mir zu zeigen, wie lustig der Film gewesen war.
»Schön für dich«, sagte ich und ging einen Schritt schneller.
»Jetzt Englisch!«, stöhnte Beatrix und ich überlegte, was das für eine Art Satz gewesen sein sollte. Musste ich darauf was sagen?
Vor uns schlenderten Milena und Jennifer die Treppe hinauf. Milena hatte einen selbstsicheren Gang mit hocherhobenem Haupt und bedächtigen Schritten, als ob sie zu ihrer eigenen Krönungsfeier unterwegs wäre. Ein Wunder, dass sie nicht nach links und rechts ihre Untertanen grüßte. Jennifer redete leise auf sie ein. Ich würde ja zu gerne wissen, was mit Milenas Freund und dessen Ex war, und ging etwas schneller, um zu ihnen aufzuschließen.
»Und, Englisch-Hausaufgaben? Gemacht?«, fragte Beatrix.
»Mmmhhja«, antwortete ich abgelenkt. Beatrix erzählte mir haarklein, welche Pointen sie
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