Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Rückseite des Geländes. Ich lugte hindurch und sah plötzlich eine Gestalt auf dem Lehrerparkplatz. Sie trug eine türkisfarbene Steppjacke. So eine hatte Nora. Und das war sie auch. Sie redete mit jemandem in einem roten Mazda, soweit ich das erkennen konnte. Ich schob meinen Kopf so weit an die Metallstäbe, dass ich den Fahrer erkennen konnte. Es war Pascal von Cappeln, der hinter dem Steuer saß. Nora redete auf ihn ein, die Hand auf dem Wagendach abgestützt. Dann startete Pascal von Cappeln plötzlich sein Auto, Nora trat erschrocken zurück und er fuhr so scharf an, dass die Räder durchdrehten. Er schoss aus der Parklücke hinaus, bog nach links ab, haute kräftig auf das Lenkrad und schrie etwas, was ich nicht verstehen konnte. Dann war er aus meinem Blickfeld verschwunden. Interessant.
Was meine liebe Klassenkameradin Nora mit dem Musiklehrer am Hut hatte, das würde ich schon noch ergründen. Eine andere Sache konnte ich schon versuchen, beim Abendessen rauszufinden. Meine Mutter hatte Brokkolicremesuppe und Mangold-Pastetchen gemacht. Mein Vater aß nicht mit, er war in unserem Werk in Thüringen. Nach der Suppe fragte ich meine Mutter so harmlos wie möglich: »Was weißt du eigentlich über meinen Bodyguard?« Ich sagte seinen Namen nicht, damit sie nicht dachte, ich interessierte mich für ihn. »Ist er überhaupt für den Job qualifiziert?«
»Er war vorher bei der Polizei und arbeitet jetzt in der Sicherheitsfirma von Klaus.« Klaus war ein alter Freund meines Vaters.
»Und warum ist er nicht mehr bei der Polizei?«
»Keine Ahnung. Darum hat sich dein Vater gekümmert.« Sie musterte mich über die Brokkolicremesuppe hinweg: »Wieso? Hat er sich ungebührlich benommen?«
»Nein, nein. Alles bestens«, versicherte ich. Ich war mir sicher, dass das Äußern von besserwisserischen Ansichten nicht zu dem ungebührlichen Verhalten gehörte, das meine Mutter im Sinn hatte.
Mittwochs fand in der Schule eine Gedenkfeier für Laura statt.
Auf der Bühne der Aula stand ein großes Porträt von ihr auf einer Staffelei. Laura Mayleen Cheng war sehr hübsch gewesen, mit einer faszinierenden Mischung aus europäischen und asiatischen Gesichtszügen und üppigem schwarzem seidig glänzendem Haar, das selbst auf dem Foto so aussah, als ob es nach Mandelblüten und Jasmin roch. Wenn sie Werbung für Shampoo gemacht hätte, ich hätte es sofort gekauft. Ihre Wangenknochen waren hoch und breit, die Augen eher westlich rund als mandelförmig. Der Mund ein verlockendes herzförmiges Kissen mit zartem rosafarbenem Glanz. Sie schaute auffallend ernst in die Kamera.
In der ersten Reihe saß die Prinzessinnenclique rund um Milena. Milena trug die Haare hochgesteckt, was die edle schwarze Strickjacke mit den kleinen weißen Perlen, die wie vergossene Tränen rund um den Kragen aufgestickt waren, besonders gut zur Geltung brachte. Ich setzte mich in die dritte Reihe zwischen Diana, meine unglückliche Pultnachbarin, und Nora, die an diesem Tag auch ziemlich mitgenommen aussah. »Hey«, sagte ich leise. »Wie geht’s?«
»Ich kann es immer noch nicht fassen, dass sie tot ist«, antwortete Diana mit erstickter Stimme.
»Das ist so furchtbar«, sagte Nora. Sie beugte sich zu mir und fragte leise: »Wo bist du denn so schnell hin am Montag?«
»Zur Polizei«, sagte ich. »Meine Beobachtungen von Donnerstag mitteilen.«
»Und?«
»Na ja. Sie sagten, sie hätte noch gelebt am Donnerstag und sich erst am Samstag umgebracht.«
»Was?«, sagte sie schnell. »Das gibt es doch nicht!«
»Ja«, sagte ich. »Komisch, oder?«
»Sehr merkwürdig«, bestätigte Nora und schüttelte fassungslos den Kopf.
»Weißt du eigentlich, mit wem Laura zusammen gewesen war?«
»Absolut keine Ahnung«, sagte Nora. »Ich wusste nicht mal, dass sie einen Freund gehabt hatte.«
»Warst du gestern eigentlich hier? Bei der psychologischen Hilfe?«
Nora schüttelte den Kopf. »Ich war so fertig, ich bin einfach den ganzen Tag im Bett geblieben.« Die Lüge war ihr ganz locker über die Lippen gekommen.
Die Schuldirektorin trat auf die Bühne, begrüßte uns und redete über eine Stunde über die Lücke, die Laura hinterließ, und ihre schulischen Verdienste besonders im musischen Bereich. Die Lehrer saßen im Halbkreis hinter der Schuldirektorin, alle mit mehr oder weniger betroffenen Gesichtern. Besonders fiel mir auf, dass unsere Französischlehrerin auch heute nicht auf ihren roten Signallippenstift verzichtet hatte und dass die
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