Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
sicher eine Idee, was zu tun war. Dann öffnete ich Skype und staunte über eine Nachricht von einem wolf99. Er schrieb: Wo steckt Dein Bruder? Er hat etwas, das mir gehört. Schreib mir an meine E-Mail-Adresse.
Ich sah, dass er online war, und antwortete: Was ist es denn? Vielleicht kann ich Dir helfen?
Wolf99: Du kannst mir nicht helfen. Wo ist er?
Ich: Sorry, keine Ahnung.
Es war mir auch so was von egal. Konnte ich doch nichts dafür, wenn sich mein Bruder von irgendeinem Kommilitonen ein Buch geliehen und nicht zurückgebracht hatte. Mein wichtigstes Anliegen war im Moment: Laura besser kennenzulernen. Die Möglichkeiten dazu waren natürlich begrenzt. Trotzdem gibt es wohl keine bessere Gelegenheit, etwas über einen Menschen zu erfahren, als auf seiner Beerdigung.
16
Wir fahren übrigens nicht zur Schule«, sagte ich zu Enzo, als wir am nächsten Morgen durch unser Tor auf die Straße einbogen.
»Ach, nein?«, fragte er überrascht.
»Heute ist Lauras Beerdigung.«
»Ach, deswegen die schwarzen Klamotten«, sagte er mit Blick auf mich durch den Rückspiegel. Wir fuhren zum Nordfriedhof. Ich hatte gestern bei den drei Friedhöfen der Stadt angerufen, um herauszufinden, wo und wann die Beerdigung stattfinden würde. Um elf Uhr ging es los. Wir waren viel zu früh da und warteten auf dem Parkplatz.
»Schokolade?«, fragte Enzo und zog eine Tafel Zartbitter aus dem Handschuhfach.
»Nee«, sagte ich. »Wie kann man eigentlich am frühen Morgen schon Schokolade essen?«
»Genauso gut wie man am frühen Morgen Gummibärchen essen kann«, gab er zurück.
»Da ist was dran.« Ich schaute aus dem Fenster. Wir hatten Glück, dass es an diesem Novembertag trotz der grauen Wolken nicht regnete.
»Wenn das vorbei ist, dann kann sich endlich alles wieder beruhigen«, sagte Enzo kauend.
Ich antwortete nicht.
»So ein Selbstmord ist schlimm.«
»Ja. Sehr schlimm.«
»Du lässt die Sache doch auf sich beruhen, oder?«
»Aber natürlich mache ich das, Herr Sicherheitsbeauftragter. Ich würde nie irgendwas machen, ohne Ihr Einverständnis einzuholen, Herr Sicherheitsbeauftragter.«
Enzo seufzte und warf mir einen besorgten Blick durch den Rückspiegel zu. Ich musste dran denken, mich das nächste Mal auf die andere Seite der Rückbank zu setzen, damit er mich nicht mehr beobachten konnte.
»Wann kommen die denn endlich?« Er schaute ungeduldig auf seine übertrieben dicke Taucheruhr.
»Entspann dich. Als Bodyguard muss man doch geduldig sein.«
»Wie du meinst«, sagte er und drehte das Radio auf. Irgendeine italienische Schrottmusik. Vermutlich aus einer Oper. Oder so.
»Mach das leiser«, herrschte ich ihn an. »Wir sind auf einem Friedhof.«
»Wie du meinst«, sagte er wieder, drehte die Musik leiser, summte dafür aber die Melodie weiter. Ich verdrehte die Augen und hielt mir demonstrativ die Ohren zu. »Wofür wirst du eigentlich bezahlt? Um mir auf die Nerven zu gehen?«
Er lachte. In dem Moment kamen sie. Vorneweg der Leichenwagen. Dahinter noch eine Handvoll Autos, alle mit einer weißen Schleife an der Antenne wie normalerweise bei einer Hochzeit.
»Das sind aber nicht gerade viele Autos«, wunderte sich Enzo.
»Komisch«, sagte ich, dabei war ich natürlich kein bisschen erstaunt. Die Beerdigung fände im engsten Familienkreis statt, hatte von Cappeln gesagt und um Verständnis gebeten, dass Außenstehende nicht eingeladen wären. Aber das erzählte ich Enzo natürlich nicht. Er wäre sonst sicher wieder unausstehlich geworden. Der Leichenwagen hielt im Wendehammer des Weges, die anderen Autos dahinter. Aus dem ersten, einem schwarzen Mercedes, stiegen eine brünette Frau von ungefähr fünfzig Jahren und ein schwarzhaariger Mann, mittelgroß, dünn, mit einem runden Bauch, Mandelaugen hinter einer metallgerahmten Brille. Das musste Lauras Vater sei. Er stieg aus, rückte seine Hose zurecht und schloss das Jackett. Seine Bewegungen waren ruhig, seine Körperhaltung kerzengerade. Er schien ein Mann zu sein, der es nicht gewohnt war und auch nicht duldete, dass man ihm widersprach. Ein Kopfnicken oder ein Fingerzeig würden genügen, damit die anderen sprangen. Das kannte ich von meinem Vater. Wang Hong Cheng war auch ein Geschäftsmann und laut Internet der Inhaber einer Im- und Exportfirma für chinesischen Nippes wie Neujahrsartikel, Lampions, Altäre, Buddhas und so. Die anderen Autos leerten sich ebenfalls. Die Männer waren schwarz gekleidet. Die Frauen nicht. »Aber warum tragen die
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