Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Frauen denn alle weiße Kleidung?«, fragte ich verblüfft.
»Bei den Chinesen ist Weiß die Farbe der Trauer. Wusstest du das etwa nicht?«
Nein. Aber ich hätte es wissen müssen. Ich wurde rot, weil ich mich über mich selbst ärgerte. »Dann muss ich wohl als Mann gehen«, sagte ich und blickte an meiner schwarzen Hose und dem schwarzen Mantel hinunter.
»Wie willst du das denn machen?«, fragte Enzo.
»Keine Ahnung. Hast du einen Hut oder so?«
»Vergiss es. Selbst mit einem Sombrero und einem Schnurrbart würde dir keiner den Mann abkaufen.«
»Was machen die denn jetzt?«, lenkte ich ab. Der weiße Sarg wurde aus dem Leichenwagen geholt und auf einen Ständer gestellt. Zwei ältere Chinesinnen, die lauthals wehklagten, kamen herbei und klebten weißes und gelbes Papier auf den Sarg und etwas, das wie Geldscheine aussah. Lauras Vater stand wie versteinert abseits, seine Frau neben ihm. Beide Gesichter zeigten keinerlei Regung. Irgendwann wedelte Lauras Vater mit der Hand und die Frauen heulten noch ein letztes Mal laut auf, ließen dann aber von dem Sarg ab. Mit Lauras Vater war eindeutig nicht gut Kirschen essen. Mir fiel die chinesische Mafia ein, die Triaden. Nicht, dass Laura denen aus irgendeinem Grund im Weg gewesen war… Ach, Sander, sei bloß still und fang nicht wieder an, dir irgendeinen Unsinn zusammenzufantasieren. Die Sargträger kamen und schulterten den weißen Sarg. »Gib mir dein Hemd«, sagte ich zu Enzo, der seine übliche schwarz-weiße Kluft trug.
»Wie bitte?«, fragte er verblüfft.
»Wenn ich nicht als Mann gehen kann, brauche ich eben was Weißes.«
»Da hättest du dich einfach besser vorher informieren sollen«, sagte Enzo. »Ich ziehe mein Hemd nicht aus.«
»Doch, das tust du.«
»Warum sollte ich das?«
»Ich… äh… befehle es dir.«
Er drehte sich amüsiert zu mir um. »Sag mir erst, was du hier willst. Sonst passiert überhaupt nichts.«
»Ich recherchiere nur ein bisschen.«
»Weil du nicht an den Selbstmord glaubst.«
»Ja.«
»Das hätte ich mir ja denken können.«
Ich schwieg.
»Hast du denn schon irgendeinen Verdacht?«
»Nein.«
Der Trauerzug setzte sich in Bewegung. Es waren etwa dreißig Leute, die hinter dem Sarg hergingen, auf dem die Papierchen flatterten.
»Na gut«, seufzte er. »Aber mach keine Dummheiten, okay?« Er zog sein Jackett aus und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Ich schaute aus dem Fenster.
»Hier«, sagte er und reichte es mir nach hinten. Jetzt konnte ich nicht umhin, ihn anzusehen. Sein Oberkörper war ziemlich muskulös, die Brust haarlos und glatt. Auf dem rechten Oberarm packte ein Adler mit seinen Klauen gerade eine Schlange, darunter prangte eine weitere Tätowierung, ein Tribal aus ineinander verschlungenen schwarzen Strichen. Die Haut drum herum war noch etwas rot und die schwarze Farbe leuchtete. Schien wohl ein frisches Tattoo zu sein.
»Pass gut drauf auf, sonst wird meine Oma sauer«, sagte Enzo und lenkte mich damit von seinem tätowierten Bizeps ab. Ich schaute ihn fragend an.
»Sie wäscht und bügelt meine Hemden«, erklärte er. Ich zog meinen Mantel aus und das Hemd über meinen schwarzen Rollkragen. Es war mir natürlich viel zu weit und zu lang, aber aus ziemlich dickem Stoff, und als ich es mit dem Gürtel des Mantels zugebunden hatte, sah es auf den ersten Blick aus wie ein weißer Trenchcoat. Hoffte ich jedenfalls.
»Schick«, sagte er.
»Halt die Klappe«, sagte ich und atmete den Duft ein, der an dem Hemd haftete. Rosmarin und Minze.
»Ein Danke wäre mir lieber gewesen.«
»Back es dir.«
Er lachte. »Unmöglich, dieses Mädchen.«
Ich öffnete die Tür.
»Soll ich nicht besser mitkommen?«
»In dem Aufzug?«, fragte ich, denn jetzt trug er das schwarze Jackett über nackter Brust.
»Wohl eher nicht. Na gut. Bis später. Und viel Glück.«
Ich hatte vor, mich im Hintergrund zu halten, und ging deswegen in gebührendem Abstand hinter dem Trauerzug. Als er in einen Weg einbog, nahm ich einen Parallelweg, um auf gleiche Höhe zu kommen und die Anwesenden etwas besser mustern zu können. Ich beschleunigte meinen Schritt. Eine weißhaarige Frau stellte rechts von mir ein paar frische Blumen auf ein Grab, etwas weiter auf der linken Seite stand ein junger Mann in Trauer versunken vor einem Grab mit einer großen steinernen Engelsfigur. Seine Stachelfrisur mit den blondierten Spitzen fiel ziemlich auf. Er trug eine riesige weiße 1980er-Jahre-Sonnenbrille, eine buttonübersäte schwarze
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