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Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Titel: Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Dietz
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Fußball und klassische Musik, welch ungewöhnliche Kombination, so ungewöhnlich wie der ganze Mensch ) reinziehen, bis ich endlich seinen Namen las. John. Ich ließ das Tagebuch sinken und rief mir den Typen vom Friedhof in Erinnerung. Zu dem passte der Name John auf jeden Fall. Es wäre natürlich obercool, wenn John auch einen Nachnamen hätte. Ich las also weiter. Laura fing an, sein Äußeres zu beschreiben, und trotz ihrer offensichtlichen Begeisterung für ihn blieb alles ziemlich schwammig: Für andere sieht er vielleicht normal aus, aber für mich ist er der ungewöhnlichste Mensch auf der ganzen Welt.
    Ja, Herrgott noch mal, jetzt schreib doch mal was Handfestes, Haarfarbe, Augenfarbe, Tätowierungen oder andere Identifizierungsmerkmale! Dann endlich: Er hat dunkelbraune Haare und braune Augen und er ist ein ganzes Stück größer als ich, sodass ich zu ihm aufschauen kann.
    Das war der Moment, als ich stutzte. Hä? Der Typ vom Friedhof war ungefähr so groß gewesen wie ich. Und ich bin eins zweiundsiebzig. Und dass er Fußball spielen würde im Verein, das konnte ich mir bei dem dürren Typen mit seinen spillerigen Beinen auch nicht vorstellen. Mmhh. Ich las weiter. Jetzt ging es auf einmal nur noch gegen Milena. Die nämlich – unverzeihliche Sünde! – bei jeder Gelegenheit John anbaggerte! Oha, dachte ich. Da sieht man mal, dass es immer wichtig ist, sich auch die andere Seite anzuhören. Von wegen, Laura hätte sich so verändert. Milena hatte ihr den Freund ausspannen wollen! Klar, dass das eine Freundschaft nicht übersteht. Und dann kam die Stelle, die ich gefürchtet hatte – die intimen Geständnisse einer Musterschülerin.
    Am Wochenende habe ich mit John geschlafen. Das erste Mal. Habe ihm meine Unschuld geschenkt. Es war fantastisch!
    Oh, bitte, dachte ich. Jetzt bloß keine Details aus ihrem Sexleben. Mein voyeuristisches Gen war deutlich verkümmert, keine idealen Voraussetzungen, um in fremden Tagebüchern zu schmökern. Doch zum Glück schwenkte das Thema sofort um. Sie schrieb, wie schön es mit John sei und wie glücklich er sie mache. Dann gab es ein paar Monate keine Einträge mehr. Vermutlich genoss sie ihren Honeymoon. Und dann plötzlich – mit Datum von vor zwei Monaten: Ich war vorgestern mit John in der Stadt – und wen treffen wir da? Milena. Sie hat uns aufgelauert, das weiß ich. Hatte sich total aufgebrezelt. Und dann ist sie sofort auf John zugelaufen und hat ihm zwei dicke Schmatzer auf die Wange gegeben und dabei die Hand auf seine Schulter gelegt, diese Schlampe. Und John hat es gefallen! Und dann hat er für gestern Abend abgesagt. Ich hatte gleich so ein schlechtes Gefühl. Und habe bei Milena angerufen. Und sie hat noch nicht mal versucht, es vor mir zu verbergen. Er war bei ihr!
    Okay, dachte ich. Jetzt wird es echt fies. Milena war ja nun wirklich das Letzte. Ihr tränendrüsiger Auftritt von vorhin war eine reine Show gewesen. Und Laura schien echt zu leiden. Immer mehr Depri-Einträge folgten, auch ihre Schrift hatte sich verändert, war hastiger geworden, und ihr »a« sieht immer mehr aus wie »o«. Sie schrieb, wie mies es ihr ginge und wie eifersüchtig sie sei und dass sie John nicht vertraue, aber ihn unbedingt behalten wolle. Dann der letzte Eintrag, Datum von vor drei Wochen: Sie hat ihn mir gestohlen. Dieses Biest hat mir meinen Freund gestohlen und meine Zukunft. Ich hasse sie. Ich weiß nicht, wie ich leben soll ohne John. Mein Leben ist nichts mehr wert. Und meine Eltern gönnen mir auch keine Atempause. Machen mir immer nur Druck mit der Schule, das halte ich nicht mehr aus. Ohne John halte ich das alles nicht mehr aus. Ich halte das nicht mehr aus. Ich halte das nicht mehr aus. Ich glaube, ich werde...
    Ende. Kein weiterer Eintrag. Ich klappte es zu. Eine Gänsehaut überkam mich und ich saß eine Weile versteinert da. Die Vorstellung, dass sie das geschrieben hatte und sich dann… Ich musste unbedingt mit jemandem darüber sprechen und fuhr mit dem Roller zu Justus. Enzo verfolgte mich mit dem Auto, als wäre ich Thronerbin Nummer eins. Total übertrieben, aber mich fragte ja keiner.
    »Hey«, begrüßte ich Justus, der natürlich vor dem Computer hing. Ich brannte darauf, ihm von dem Tagebuch zu erzählen. Aber bevor ich dazu kam, sagte er schon: »Hey, Nats, guck mal. Bei uns hinterm Haus sind gestern Nacht Aliens gelandet.« Er zeigte auf den Monitor, von dem mir zwei wie Quecksilber schillernde Augen in einem unmenschlich schmalen Gesicht

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