Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
war denn mit dem los? Ich schnappte mir meine Tasche und wir gingen runter.
»Ich gehe mit Justus zu einer Party«, informierte ich meine Mutter, die in der Küche Teig knetete. »Okay«, sagte sie. »Enzo fährt euch. Um elf seid ihr zurück.«
Ich protestierte nicht über diese frühe Uhrzeit. Ich wollte mich ja nicht amüsieren. Und für die Recherche sollte die Zeit reichen. Enzo saß in dem Aufenthaltsraum und schaute eine Wissenschaftssendung. Als ich reinging, scannte er mich mit einem Blick und zog den Mundwinkel einen Millimeter nach unten. Der kleine Halbmond an seiner Lippe zuckte. Aber er sagte nichts, stand auf und nahm die Autoschlüssel. Wir stiegen ins Auto. Enzo vorne, ich auf meinem Stammplatz hinter dem Fahrer, Justus neben mir. Keiner sagte etwas. Noch nicht mal Enzo, die alte Labertasche. Nichts über Fußball oder Autos oder polynesische Naturvölker. Kein Sterbenswörtchen. Die Atmosphäre war angespannt wie die goldene Schutzfolie auf einem neuen Nutellaglas. Wenn man mit dem Finger darauf tippte, knallte es. Vielleicht lag es daran, dass wir sonst immer alleine im Auto waren, wir beide. Also, Enzo und ich. Da roch ich nur Enzos Rasierwasser. Rosmarin und Minze. Jetzt mischte sich Justus’ Geruch nach frisch gemähtem Gras hinein, den ich eigentlich auch sehr mochte, den ich aber heute plötzlich aufdringlich fand. Oder vielleicht passten die beiden Düfte einfach nur nicht zusammen. Auf jeden Fall war es so, dass mir Justus, mein allerbester Freund, der Mensch, der mir am nächsten stand, plötzlich wie ein Eindringling vorkam. Das gefiel mir ganz und gar nicht. Ich sah zu Justus, er machte den Mund auf, als ob er was sagen wollte, klappte ihn aber wieder zu und schaute aus dem Fenster. Diese Stille war einfach unerträglich und so fing ich an zu plappern. Wie ein Wasserfall. Ich erzählte von unserer Aufführung am Freitag und davon, dass alle ihre Rollen gut konnten, aber wenn jemand ausfiele, dann hätten wir immer noch Merle, die wäre unglaublich, die könnte alle Texte auswendig, auch die langen Monologe, dabei wäre sie eigentlich Regieassistentin und nicht unbedingt der Typ, der auf eine Bühne gehörte, genau wie ich, ich könnte so was ja auch nicht. An dieser Stelle musste ich Luft holen und schaute nach vorne, genau in dem Moment sah Enzo mich durch den Rückspiegel an. Und dann war es wieder so, als ob sich ein Band zwischen uns spannte. Diesmal hatte er es nicht mit seiner Stimme, sondern mit seinem Blick ausgeworfen. Ich bekam wieder dieses Kochend-heiße-Suppe-Feeling im Magen und hatte das Bedürfnis, Enzos Schulter zu berühren. Was war nur mit mir los? Ich wollte ihm gegenüber doch ein abgeklärter Shaolinmönch sein. Konnte es tatsächlich sein, dass ich… Ich wagte nicht, dem Gefühl einen Namen zu geben. Denn das hätte bedeutet, dass ich mich tatsächlich in meinen Bodyguard, diesen oberwichtigen Wichtigtuer, diesen Besserwisser… nein, nein. Das konnte wirklich überhaupt nicht sein. Wenn ich mich in einen Kerl ver… äh, also dann auf jeden Fall in den richtigen. Auf so eine Pleite wie mit Lukas hatte ich echt keinen Bock mehr. Und eigentlich kam da nur einer infrage. Und das war mein bester Freund, der mich wie kein Zweiter verstand, der meine Gedanken lesen konnte und mit dem ich mich nie stritt. Ich schaute nach rechts zu Justus, er lächelte, er war wirklich süß, ich lächelte ebenfalls, aber etwas verkrampft. Aber das lag sicher nur daran, dass Enzo dabei war. Das machte mich unsicher. Ich war froh, als die Fahrt vorbei war und wir vor der Mensa ausstiegen, wo die Feier stattfand. Justus sagte in einem Ton, den ich noch nie von ihm gehört hatte, zu Enzo: »Hör mal, Kumpel.« Ich fand das total unpassend. Enzo auch. Das sah ich an dem leichten Zucken in seinem Gesicht. »Du wartest hier draußen auf uns, okay?«, kommandierte Justus. Er war sonst so zurückhaltend und freundlich. Überhaupt nicht der Macker. Aber das war gerade schon ziemlich mackermäßig gewesen. Als ob Enzo sein Dienstbote wäre.
»Bis später dann, Enzo«, sagte ich freundlich. Er nickte knapp, lehnte sich mit dem Rücken an die Fahrertür, verschränkte die Arme und erstarrte in dieser Position. Vor dem Eingang drängelten sich schon ziemlich viele Leute. Justus wurde gegen mich gestoßen. Er senkte den Kopf, sodass wir uns fast berührten. Er schien auf einmal gewachsen zu sein. Während er seine Mütze noch etwas weiter in den Nacken schob, sagte er grinsend, als würden wir
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