Gefährliche Ideen
denn es bereitet deutlich mehr Mühe, diese in unser herkömmliches Konzept von Diversität einzufügen. Manche Arten von Vielfalt sind einfach leichter vorstellbar, und wenn man zu lange oder intensiv über Dinge nachdenkt, werden sie nur immer verworrener und schwieriger.
Vielfalt ist oft nur ein schöner Begriff, um den sich alle gern scharen – etwas, das jeder befürwortet, aber am liebsten nicht kritisch diskutieren möchte. Um die Dinge noch zu verkomplizieren, verlangt die moderne wissenschaftliche Forschung, dass wir das Konzept aus dem Blickwinkel der
Intersektionalität
betrachten. Darunter versteht man die Auffassung, dass es zu kurz greift, Vielfalt auf einzelne Etiketten zu reduzieren, die man Menschen aufgrundeiner ihrer Eigenschaften verpasst. Stellen Sie sich beispielsweise einen schwulen indischen Moslem vor: Welche Bezeichnung genießt Vorrang – schwul, Moslem, Mann oder Inder? Sollen wir eine Neueinstellung als »ethnisch begründet« ansehen (und somit als Zuwachs an Vielfalt) oder schlicht als nigerianische Frau, die ihrer Familientradition folgt … und einen Doktortitel anstrebt? Es sollte einleuchten, dass man Menschen nicht durch simple Etiketten herabsetzen darf, indem man sie
entweder
als Frau
oder
als Nigerianerin
oder
als Wissenschaftlerin
oder
als Punkrockerin bezeichnet – doch dann lässt sich eben nicht mehr so leicht über Vielfalt sprechen. Denn wenn wir uns nicht mehr auf Eigenschaften beziehen, was macht Vielfalt dann aus?
Alles Ingenieure
Dies wirft eine weitere Frage auf: Welche Art von Vielfalt stärkt die Kreativität? Ich war früher Dozent in einem der hochkarätigsten europäischen Studiengänge für Industriemanagement (in Stockholm, um genau zu sein). Aus meiner Studentenschaft hätte ich ein erstaunlich vielfältiges Projektteam zusammenstellen können, das als Leitbild noch für das anspruchsvollste Lehrbuch getaugt hätte. Ohne jegliche Mühe könnte ich anhand der Liste meiner ehemaligen Studenten eine Gruppe mit ausgeglichenem Geschlechterverhältnis formen, in der sämtliche Kontinente und zahlreiche Ethnien, alle wichtigen Religionen und die meisten Hauptsprachgruppen vertreten wären. Ich könnte sowohl hetero- als auch homosexuelle Menschen berücksichtigen und ebenso eine Mischung aus altem Geld und Adel sowie Studenten aus Arbeiterfamilien herstellen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, könnte ich außerdem dafür sorgen, dass Menschen in ihren Zwanzigern, Dreißigern, Vierzigern und Fünfzigern vertreten wären. Verblüffend!
Dessen ungeachtet wäre ich mir immer noch nicht sicher, wie kreativ eine solche Gruppe wäre. Denn ganz gleich, wie sehr ich mich um einegute Mischung bemühen und wie viele Heterogenitätskategorien ich berücksichtigen würde, besäße die Gruppe doch immer noch eine Eigenschaft, die alle meine Anstrengungen zunichte machen könnte. Obwohl die Gruppe ein fantastisches Foto abgäbe, wäre sie immer noch eine Clique von Ingenieuren der Königlichen Technischen Hochschule in Stockholm.
Wir lernen daraus, dass jede Diskussion über Vielfalt und Kreativität von der Frage ausgehen muss:
»Welche Art von Vielfalt?«
In manchen Situationen, insbesondere in Wachstumsphasen von Unternehmen, werden diverse Formen von Vielfalt benötigt, doch wenn es um ganz bestimmte Probleme und Lösungen geht, müssen wir deutlich präziser an das Thema herangehen. In manchen Fällen ist es außerordentlich wichtig, Menschen aus möglichst vielen kulturellen Gemeinschaften einzubinden, etwa um sicherzustellen, dass eine Marketingkampagne nicht kulturgebunden oder eurozentrisch ist. In anderen Fällen kommt es eher darauf an, verschiedene Disziplinen ins Boot zu holen, etwa Ingenieure zusammen mit Ethnologen und Marketingstudenten, wenn es um die Entwicklung eines neuen Produkts geht. Diese Ansätze schließen sich nicht gegenseitig aus, doch entscheidend ist, dass es bei der Diskussion über Kreativität darauf ankommt, genau zu benennen, inwiefern Vielfalt unserer Meinung nach den kreativen Prozess befördern kann. Mit anderen Worten müssen wir ein wenig vielfältiges Denken in das Denken über Vielfalt einfließen lassen, genauso wie das Denken über Kreativität dringend etwas mehr Kreativität gebrauchen könnte. Daher …
Müssen denn alle kreativ sein?
Die Antwort lautet
Nein
. Warum auch? Welch bizarre Annahme! Zahlreiche Dinge lassen sich wunderbar ohne viel Kreativität bewältigen,und viele Menschen hatten ein reiches und
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