Gefährliche Liebe unter dem Hakenkreuz (Junge Liebe) (German Edition)
seiner Lippe über das Kinn lief. Dann atmete er kurz durch und holte aus. Heinrich hatte kaum eine Chance, sich gegen den Hagel an Schlägen zu wehren, der auf ihn einprasselte. Sterne stiegen vor ihm auf, als ein Schlag sein rechtes Auge traf. Zeitgleich traf ihn die Faust seines Gegners in den Magen. Er klappte nach vorn über und fiel auf die Straße. Verzweifelt versuchte er sich gegen die Tritte zu schützen, die Siegfried ihm verabreichte. Erst als ein älteres Ehepaar um die Ecke bog, ließ dieser von seinem Opfer ab. „Du bist sogar noch unfähig zu kämpfen!“ Sein Tonfall war missbilligend. Wie durch Watte hörte Heinrich Schritte von Stiefeln, die sich entfernten, und Schritte, die sich näherten. Er wurde hochgezogen und Hände griffen nach ihm und stützten ihn. Es kam ihm vor, als ob Siegfried alles aus ihm herausgeprügelt hätte. Er fühlte sich leer und ausgehöhlt.
***
Richard lag in seinem Zimmer im Bett, die Augen geschlossen, und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer wieder spulte sich in seinem Geist derselbe Film ab: Heinrichs Kuss. Seine Flucht. Er hatte es nur wenige Meter weit geschafft, bis ihm klar geworden war, dass die zitternden Knie ihn nicht mehr weit tragen würden. Dann war er ein paar Schritte querfeldein gegangen, bevor er sich gegen einen Baum gelehnt hatte. Das Blut in seinem Kopf rauschte so stark, dass er die Geräusche seiner Umgebung nicht wahrgenommen hatte. Heinrichs Geschmack immer noch auf der Zunge. Irgendwann hatte er die Augen geöffnet und ihn auf dem Weg erblickt. Heinrich stand dort, einen verzweifelten Ausdruck im Gesicht. Unfähig sich zu bewegen, hatte er gewartet, bis dieser gegangen war. Erst dann war es ihm möglich gewesen, den Heimweg anzutreten. Ohne ein weiteres Wort war er in seinem Zimmer verschwunden, um sich im Bett zu vergraben. Hier lag er nun seit fast 36 Stunden. Er spürte keinen Hunger und keinen Durst. Das mehrfache Klopfen seiner Mutter an der Tür hatte er ignoriert. Gerne hätte er mit jemanden gesprochen. Aber mit wem? Silke war für ein paar Tage zu einer Freundin nach Wiesbaden gefahren. Samuel? Um Gottes Willen. Er wäre der absolut falsche Ansprechpartner gewesen. Seine Mutter? Mit ihr darüber reden, dass ein Mann ihn geküsst hatte und dieser Kuss ihn mehr verunsicherte als der, den er am Abend davor von Judith bekommen hatte? Nein, er war sich sicher, dass das ebenfalls nicht der richtige Weg wäre.
Er drehte sich auf die Seite und holte tief Luft. Durch das geöffnete Fenster konnte er den Rhein bis in sein Zimmer riechen. Langsam öffnete er die Augen. Sollte er an den Fluss gehen? Wie oft hatte ihm das alte Gewässer schon weitergeholfen, wenn er keine Antwort wusste. Am Ufer zu sitzen, den Schiffen zuzusehen, war oftmals besser, als mit jemanden zu reden. Es schien, als ob die Strömung Fragen mitnahm und Antworten brachte. Er erhob sich und ging ans Fenster. Die Wärme der Sonnenstrahlen, die in sein Zimmer fielen, tat ihm gut. Ja, er würde an den Fluss gehen. Leise öffnete er die Zimmertür, um unbemerkt in das kleine Badezimmer zu kommen. Er war froh darüber, dass er seine Familie hatte überzeugen können, dass eine Treppe für ihn kein Hindernis darstellte. Ohne Krücken hüpfte er auf einem Bein ins Bad, um sich frisch zu machen. Zurück in seinem Zimmer kleidete er sich an, nahm die Gehhilfen und ging nach unten. Aus der Küche drang Essensduft zu ihm heraus. Er überlegte kurz, ob er sich ungesehen aus dem Haus stehlen sollte, als seine Mutter vor ihm stand. „Geht es dir wieder besser?“ „Ich weiß es nicht genau.“ Er zog die Schultern hoch. „Hier.“ Sie hielt ihm einen Rucksack hin. „Was ist das?“ Erstaunt sah er sie an. „Mein Junge, immer wenn du dich so in deinem Zimmer vergräbst, hast du etwas, was dich beschäftigt. Wenn du dann an den Fluss gehst, suchst du nach Antworten.“ „Woher weißt du, dass ich an den Rhein will?“ Sie lächelte ihn liebevoll an. „Ich kenne dich schon dein ganzes Leben und genauso kenne ich die Kraft des alten Gewässers.“ Ihr Arm hob sich und sie streckte ihm den Rucksack entgegen. „Nimm das mit. Du hast seit fast zwei Tagen nichts gegessen. Es wird dir gut tun und es dir leichter machen, eine Antwort zu finden.“ Richard murmelte ein „Danke“, als er ihr den Rucksack aus der Hand nahm und schulterte. „Tu mir und vor allem dir aber bitte einen Gefallen. Überanstrenge dein Bein nicht.“ Ihre Hand fuhr ihm zärtlich über die Wange. Er
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