Gefährliche Liebe unter dem Hakenkreuz (Junge Liebe) (German Edition)
des Abends war es ihm zu eng geworden zwischen den ganzen Parteibonzen. Bei der erstbesten Gelegenheit war er in die Bibliothek geflüchtet und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Sein Blick streifte die vollen Regale. Die Werte, die sein Vater im Laufe der Zeit angesammelt hatte, nur um sie zu besitzen. Langsam stieß er sich von der Tür ab und ging auf ein Regal zu. Seine Finger glitten über die Ledereinbände, während seine Ge danken noch bei den hohlen Phrasen waren, die er den ganzen Tag über sich ergehen lassen musste. Die Beileidsbekundungen hingen ihm genauso zu den Ohren heraus wie seine eigene geheuchelte Trauer. Er dachte an Richard und wünschte nichts sehnlicher, als sein Wärme und Nähe zu spüren. Die Kälte in diesem Gebäude schien ihn zu gefrieren. Dann merkte er, dass er ein Buch herausgenommen hatte. Er fuhr über den Einband. Das Leder war alt, aber in einem sehr guten Zustand. Der Titel war in das Material geprägt und mit Blattgold hervorgehoben. Ihm kam eine Idee. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln verschob er die restlichen Bücher in der Reihe so, dass die Lücke nicht mehr auffiel, und schob das Buch unter sein Jackett. Er würde es Richard mitnehmen, da er sich sicher war, dass dieser den Wert des Buches mehr schätzen würde als sein Vater. Mit dem Literaturstück unter seiner Jacke ließ er sich in den großen Ohrensessel fallen, der mit dem Rücken zur Tür stand. Er verspürte kein Bedürfnis, so schnell wieder in den ‚erlauchten’ Kreis der Gäste zu gelangen. Sein Blick fiel auf die Buchseiten, welche vor ihm auf dem Tisch lagen. Er schlug es zu und sah, dass es eine Ausgabe von ‚Mein Kampf’ war. Für seinen Vater so etwas wie die heilige Schrift. Das Licht, das durch die hohen Fenster ins Zimmer floss, reichte gerade noch aus, dass er die Buchsta ben erkennen konnte, die sein Vater wohl als letztes gelesen haben musste. ( Bei den folgenden Zitaten handelt es sich um Auszüge aus dem Buch: „Mein Kampf“ - Eine kommentierte Auswahl von Christian Zenter. Anm. des Autors) Den gewaltigsten Gegensatz zum Arier bildet der Jude. Bei kaum einem Volke der Welt ist der Selbsterhaltungstrieb stärker entwickelt als beim sogenannten auserwählten. Heinrich schluckte, als er die Worte las. Er hatte dieses Pamphlet bis jetzt immer mit Nichtachtung gestraft. Nun flogen seine Augen über den Text. Erst benützte er das Bürgertum als Sturmblock gegen die feudale Welt, nun den Arbeiter gegen die bürgerliche. Wusste er aber einst im Schatten des Bürgertums sich die bürgerlichen Rechte zu erschleichen, so hoffte er nun, im Kampfe des Arbeiters ums Dasein, den Weg zur eigenen Herrschaft zu finden. Er musste den Satz mehrfach lesen, bis er ihn verstand. Eine andere Passage verdeutlichte ihm das geschriebene. Das Endergebnis wird der Sturz der Monarchie sein, der nun früher oder später eintreten muss. Die Worte des Führers, die dieser vor 1928 geschrieben hatte, verstärkten das Gefühl der Kälte in seinem Körper um ein mehrfaches. Wirtschaftlich erschüttert er die Staaten so lange, bis die unrentabel gewordenen sozialen Betriebe entstaatlicht und seiner Finanzkontrolle unterstellt werden. Kulturell verseucht er Kunst, Literatur, Theater, vernarrt das natürliche Empfinden, stürzt alle Begriffe von Schönheit und Erhabenheit, von Edel und Gut und zerrt dafür die Menschen herab in den Bannkreis seiner eigenen niedrigen Wesensart. Angeekelt von dem blanken Unsinn, den er gerade gelesen hatte, schüttelte Heinrich sich und legte die Schrift zurück. Die letzten Worte, die ihm auffielen waren Parasit im Körper anderer Völker, Schmarotzer, schädlicher Bazillus. Den Satz: Wo er auftritt, stirbt das Wirtschaftsvolk nach kürzerer oder längerer Zeit ab, konnte er im Dämmerlicht gerade noch erkennen. Er lehnte sich zurück und versuchte zu begreifen, was er da gerade gelesen hatte. Was diese Aussagen für die Juden im Einzelnen bedeuten könnten. Als die Tür sich öffnete und er die Stimme seines Vater erkannte, der die Bibliothek betrat, setzte sein Herz für einen Schlag aus. Er wollte sich gerade aus dem Sessel erheben, als er eine zweite Stimme vernahm. „Mein lieber von Wiesbach. Das mit dem Tod ihrer Frau Gemahlin hat mich sehr betroffen gemacht. Ich kann leider nicht lange bleiben. Sie verstehen sicher – wichtige Staatsangelegenheiten – aber ich wollte es mir nicht nehmen lassen, Ihnen mein Mitgefühl persönlich auszudrücken.“ Die Stimme von Hermann Göring
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