Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
um einen Sexring handelt. Auf der anderen Seite, was weiß ich schon über Sexringe? Handelt es sich dabei überhaupt um das, was man ihnen immer unterstellt? Vielleicht sind diese Leute ja auch Rebellen. Aber ich sehe nirgendwo irgendwelche Propaganda. Keine Plakate, wofür sie kämpfen. Die einzige andere Erklärung, die mir noch einfällt, ist, dass sie zu einem Drogenkartell gehören. Aber was wollen sie dann mit einer Lektorin aus Portland in Oregon? Lösegeld, um damit eine Missernte auszugleichen oder irgendwelche Feinde auszuzahlen, wer weiß das schon? In den Nachrichten habe ich gesehen, wie skrupellos diese Leute geworden sind. Sie schlagen Menschen die Köpfe ab und stellen sie aufgespießt auf eisernen Zaunpfählen mitten auf Marktplätzen aus. Sofort sehe ich meinen eigenen Kopf auf der ganzen Welt in den Nachrichten und mir wird schon wieder schwindlig. Auf was für ein Leben kann Oliver hoffen, wenn seine Mutter ihm ein derartiges Erbe hinterlässt?
Ich zittere so heftig, dass meine Zähne klappern.
Sie müssen bereits gewusst haben, dass Jonathon eine Bank leitet. Sie müssen uns schon ausgewählt haben, bevor wir überhaupt angekommen sind. Benicio. Er arbeitet in der Ferienanlage. Er könnte etwas über uns herausgefunden haben.
Meine Lippen sind trocken und rissig. Ich habe Durst und alles in mir fühlt sich irgendwie sandig an. Meine Knöchel, meine Handgelenke, meine Kehle, meine Augen. Seit ich joggen war, habe ich noch keinen Schluck getrunken. Ganz zu schweigen von den Stunden, in denen ich jetzt schon an den Stuhl gefesselt bin. Mein Körper zittert ununterbrochen. Ich habe das Gefühl, weinen zu müssen, aber es bildet sich keine einzige Träne.
Wenn ich diesen Urlaub doch nur abgelehnt hätte. Wenn ich doch nur im Apartment geblieben wäre, eine Zeitschrift gelesen und Frühstück gemacht hätte. Wenn ich nicht schwimmen gegangen wäre oder gestern am Pool nicht mit Benicio gesprochen hätte. Es ist so leicht, eine scheinbare Kleinigkeit für alles verantwortlich zu machen. Nicht durch das Fernglas eines Mannes zu sehen, nicht im Ozean schwimmen zu gehen, einen Schuh schneller zuzubinden, langsamer, über einen Schnürsenkel zu stolpern, der aufgegangen ist.
»Benicio!«, flüstere ich so laut ich kann. Warum zum Teufel ist er auch gefesselt? Er rührt sich nicht und ich glaube langsam, dass er betäubt worden ist.
Ich zische wie eine Schlange und er murmelt irgendetwas auf Spanisch. Er hebt den Kopf, dann lässt er ihn wieder fallen, döst immer wieder ein. Erst als ich sehe, wie schnell die Strahlen der Sonne über das Fenstersims wandern, begreife ich, dass es mir nicht anders ergeht. Das Licht scheint sich innerhalb von Minuten zu verändern, doch in Wirklichkeit muss die Sonne länger gebraucht haben, um diese Strecke zurückzulegen.
Der Mann mit dem tätowierten Wolf auf dem Oberarm ist seit einiger Zeit nicht mehr im Raum gewesen. Ich höre ihnjetzt in einem anderen Teil des Hauses mit einer Frau sprechen. Die Frau sagt immer wieder: »Si, Leon. Si.« Hin und wieder scheinen sie sich zu streiten, aber wer weiß das schon? Als ich das erste Mal Deutschland besucht habe, war ich überzeugt, dass jede Unterhaltung ein Streitgespräch sei.
Die Frau lacht. Ihre Stimme klingt jung, klar. Entweder haben sie sich gerade wieder vertragen oder ich lag falsch, was den Streit anging.
»Benicio. Wach auf«, flüstere ich. »Bitte.«
Plötzlich reißt er den Kopf hoch und zieht tief die Luft ein, als sei er gerade aus einem Albtraum erwacht.
»Hey«, sage ich. »Warum sind wir hier? Was wollen die?«
Benicio sieht verwirrt aus, erschöpft. Er deutet mit dem Kopf in Richtung der Tür und dann auf mich. Dann schüttelt er ihn warnend.
»Wer sind diese Leute?«
Er windet sich, als würde ihm die Frage Schmerzen bereiten.
In dem Moment platzt eine Frau mit einem Glas Wasser in den Raum. Sie trägt eine Shorts in Tarnfarben, ein schwarzes Tanktop und Flipflops. Sie kann nicht älter als zwanzig sein. Sie ist wirklich fast noch ein Kind. Kaum älter als Oliver. Sie ist hübsch, ihr langes Haar dunkel, aber nicht ganz schwarz. Ihre Wangenknochen stehen weit auseinander und ihre Augen sind groß und bernsteinfarben wie Benicios.
Sie setzt das Glas an meine Lippen und sagt, ich solle trinken. Ihr Akzent ist stärker als der der Männer. Ich schlucke gierig, das meiste Wasser läuft über mein Kinn und auf mein Shirt. Das kühle Nass tut gut auf meiner verschwitzten Haut. Sofortverkrampft
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