Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
auf einmal so offensichtlich. Ich habe mich nie um die Telefonrechnungen gekümmert. Es erschien mir nicht notwendig. Jonathon hat sich immer um alle Rechnungen gekümmert. Er ist Bankier. Er liebt solche Dinge. Doch hatte ich mich mal für Jonathons Flut an SMS und E-Mails interessiert – manchmal mitten während des Essens, wenn Oliver sein Telefon nicht auf dem Tisch liegen haben darf –, hat Jonathon mir mit seinem typischen Lächeln jeden Satz auf den Lippen ersterben lassen. Ich habe alles ertragen, es meinem Stress zugeschrieben und der Wichtigkeit von Jonathons Arbeit. Seiner immer so unglaublich wichtigenArbeit. Denn sie ist doch wichtig, oder nicht? Das Leben von Menschen steht da auf dem Spiel, ihre gesamten Ersparnisse, Investments, Einzahlungen und Überweisungen, sie geschehen alle unter Jonathons wachsamem Auge. Aber dieses Lächeln. Ich kann es so deutlich sehen, als würde er gerade direkt vor mir stehen. Es wirkt drohend. Warum ist mir das vorher noch nie aufgefallen? Oliver hat es gesehen. Nachdem Jonathon mit seinem BlackBerry in der Hand mal vom Tisch aufgestanden war, hat er gemeint, wenn er mir jemals einen solchen Blick zuwerfen würde, könne er mit einem Monat Stubenarrest rechnen.
Und es gibt noch andere Dinge. Nach jeder »Geschäftsreise« ist Jonathon immer eifrig darauf bedacht, seinen Koffer selbst auszupacken und seine Sachen zu waschen. Ich dachte immer, er sei nur ordentlich und organisiert, ich war dankbar, dass er sich so rücksichtsvoll verhält. Ich bin nie auf die Idee gekommen, er könne etwas zu verbergen haben. Aber er bewahrt auch seinen Reisepass, die Reisepässe von uns allen, in einem kleinen Haustresor auf, nach dessen Kombination ich ihn nie gefragt habe. Ich hielt diesen Safe immer für albern, das Spielzeug eines Bankers, klein genug, dass jemand ihn einfach mitnehmen könnte, wenn er wirklich gewollt hätte. Und außerdem würde ich das Land ohne Jonathon ohnehin nie verlassen. Soll er das Ding doch aufmachen und die Pässe herausholen. Genau das hat er auch getan, aber darum geht es nicht, oder? Es geht darum, dass ich keinen Zugang zum Safe hatte. Was bewahrt er sonst noch darin auf? Ich habe nie daran gedacht, ihn danach zu fragen.
Ich liege da und die Erkenntnis, dass sich all dies hätte vermeiden lassen können, trifft mich mit voller Wucht. In diesemMoment könnten Oliver und ich auch zu Hause sein, unseren täglichen Beschäftigungen nachgehen, ohne zu ahnen, dass es auch noch ein anderes Leben hätte geben können, in dem uns so fürchterliche Dinge passieren. Wenn ich doch nur mal die Augen aufgemacht und keine Angst gehabt hätte, ein bisschen in diesem Nebel herumzustochern, zu dem meine Ehe geworden war.
Ich denke darüber nach, was ich aufgegeben habe. Die atemlosen Jagden die Treppe hinauf zu Seths Apartment. Ich fühlte mich damals so lebendig, so glücklich, in ein gemachtes Bett zu fallen, am helllichten Tag Sex zu haben, die Vorhänge weit offen, während dünne Schatten von den Zweigen der riesigen Weide draußen wie Finger über die Wände und das Bett streichen. Seths glatter Körper über mir, in mir. Nur Tage, bevor ich ihn verließ, hatte er mir ins Ohr geflüstert, dass er mich liebe. Und obwohl er es sagte, ganz kurz, bevor er kam, habe ich nicht daran gezweifelt, dass es stimmte. Ich hatte seine Lippen auf meine gezogen, damit ich es nicht noch einmal hören musste. Doch jetzt frage ich mich, ob ich es nicht getan hatte, um zu verhindern, dass ich dasselbe stammelte.
Ich vermute, ich bin kein besonders guter Ehemann gewesen.
Dieser eine Satz trifft mich tief und zerreißt mir das Herz. Zerreißt alles, was ich bin oder vielleicht hätte sein können. Dieser eine Satz gab Jonathon die Macht, alles unter Kontrolle zu behalten, die Richtung vorzugeben, mich irgendwie zu überzeugen, dass wir zusammenbleiben müssten. Ich brauchte nichts anderes zu tun, als durch die Tage und Jahre zu gleiten, ohne Fragen zu stellen, ohne etwas zu fühlen oder mir über das hinaus, was ich besaß, noch irgendetwas zu wünschen. Und hätte ich das getan, wäre die Welt, Olivers Welt, immer noch in Ordnung.
Aber Jonathon hat nie etwas Derartiges gesagt. Er hat es nicht mal angedeutet. Er sagte nur, dass er kein guter Ehemann gewesen sei, und er bat mich, bei ihm zu bleiben. Woher kommt es dann, dass ich den ganzen Rest dazugedichtet habe?
Ich blicke hinauf zu den Balken und streiche über das getrocknete Blut an der Innenseite meines Handgelenks, wohin
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