Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
zerdrückte. Jonathon ließ mit zitternder Hand die Serviette los, strich ein paar Krümel vom Tisch und richtete das Besteck neben seinem Teller akkurat aus.
Seth Reilly war der Buchhändler in unserer Gegend gewesen. Sein Lächeln keck, ironisch, etwas schief, als habe alles, was er sagte, einen doppelten Sinn. Seine keltischen, gut aussehenden Gesichtszüge waren mir irgendwie von Anfang an vertraut gewesen und eines Tages bemerkte ich, wie sehr er dem jungen Robert Redford ähnelte. Dem sehr jungen. Jünger als der Redford in
Barfuß im Park
mit Jane Fonda, aber schon mit dem gleichen sarkastischen Humor, den ich so sexy fand. Man konnte in unserer kleinen Enklave aus alten Häusern, Restaurants und Antiquitätengeschäften nicht leben, ohne Seth mit seinem vom Wind zerzausten erdbeerroten Haar nicht schon gesehen zu haben, wie er auf seinem Hollandrad mit den roten Körben vorbeifuhr. Zumindest nicht als Frau. Seth selbst war ein spannendes Buch. Man konnte es kaum erwarten, weiter darin zu lesen.
Jonathon kam von einer Privatschule an der Ostküste, blondes Haar und eckiges Kinn, breite Schultern und Krawatte. Er war klug, scharfsinnig, man sah es ihm an den Augen an, aber er sprach nicht viel über das, was er dachte. Im Bett war er zufriedenstellend, er wusste mehr oder weniger, was er zu tun hatte und wie lange es dauern sollte. Er war ruhig und freundlich, und es hatte durchaus eine Zeit gegeben, in der ich mich in dieser Lebensblase wohlfühlte. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich gern gesagt habe, ich sei mit dem Leiter einer Bank verheiratet, besonders, wenn ich dabei an meine Mutter dachte. Doch dann kam die lange Zeit danach.
Jonathon hatte seine Serviette nicht nach mir geworfen. Er war aufgestanden und hatte damit Olivers Hände abgewischt. Dann hob er unseren Sohn aus dem Hochstuhl und setzte ihn auf den Boden inmitten all seiner quietschenden Plüschtiere.
Er kehrte – wie es schien gemessenen Schrittes – zu seinem Stuhl zurück. Er holte tief Luft, räusperte sich und sagte: »Ich nehme an, ich bin kein besonders guter Ehemann gewesen.«
Ich konnte nichts erwidern. Seine Worte hatten sich angefühlt, als habe mich ein Blitz in die Brust getroffen und mich zurück zu meinem Mann und meinem kleinen Sohn geschleudert, der auf dem Boden unseres Hauses in der Irvington Avenue saß und in ganz entzückender Weise gluckste.
»Kacke«, sagte Oliver. Es war sein neuestes Lieblingswort. »Kacke, Kacke, Kacke.« Er grinste dabei wie ein kleiner Affe, bis ich eine Augenbraue hob und ihm einen aufgesetzt strafenden Blick zuwarf, auf den er nur gewartet hatte. Er lachte und wandte sich wieder seinen Plüschtieren zu.
Ich blickte Jonathon an, rot vor Scham. »Es tut mir leid«, sagte ich und damals habe ich es auch so gemeint.
»Wie?«, fragte Jonathon.
»Wie?«
»Wie hast du das hingekriegt?«
Ich suchte nach einer Antwort. »Tara, das Mädchen, das zur Highschool geht und ein Stück die Straße hinunter wohnt.« War es wirklich das, worum es ihm ging? Wollte er die Logistik der Affäre herausbekommen? »Sie hat auf Oliver aufgepasst, während ich … weg war.«
Ich habe mich damals so gehasst. Die Scham war kaum erträglich. Sie schnitt durch mein Innerstes wie große Glasscherben.
Jonathon zog sein Portemonnaie aus der hinteren Hosentasche und legte es auf den Tisch. Dann nahm er es wieder hoch und schob es zurück in seine Hosentasche, eine Geste, die mich schon immer seltsam berührt hatte. »Verlass mich nicht«, sagte er.
Verlass mich nicht.
Oliver musste bemerkt haben, dass sich die Haare auf meinen Armen und meinem Nacken aufgerichtet hatten. Er sah vom Boden zu mir herauf, als würde er auf meine Antwort warten. Und wie würde die lauten? Olivers Kindheit, sein ganzes Leben, unser aller Leben konnte von diesem einen Satz abhängen.
»Das werde ich nicht«, sagte ich und wandte meinen verschwommenen Blick von Oliver zu Jonathon.
Ich würde in Zukunft quer durch die Stadt fahren, wenn ich Bücher brauchte. Ich würde Seth nie wiedersehen.
Das war vor vierzehn Jahren gewesen. Inzwischen war es viel zu spät, mich zu fragen, warum Jonathon gewollt hatte, dass ich bleibe, warum ich versprochen hatte, nicht zu gehen.
Nun liege ich hier und denke darüber nach, dass der Weg, den ich so deutlich vor mir gesehen habe, sich als ein ganz anderer herausgestellt hat, und ich habe das fast körperliche Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen.
Dinge, die ich nie hinterfragt habe, scheinen
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