Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
Mann tritt einen weiteren Schritt vor. »Benicio!«, ruft er.
Und dann sehe ich, wie Benicios Finger sich zu einer Faust formen. Er streckt den Zeigefinger und den Daumen wieder aus, bis seine Hand die Form einer Waffe hat. Dann drückt er den nicht vorhandenen Abzug.
Ich ziele auf die Brust des Mannes. Das Herz? Den Kopf? Mein Gott, denke ich, mein Gott, und drücke ab.
Alles was dann geschieht, passiert wie in einer unheimlichen Zeitblase, in völliger Ruhe. Alle Sinne scheinen abgeschaltet. Man sieht nichts, hört nichts, fühlt nichts, riecht nichts. DerSchmerz in meinem Bein ist weg. Genauso wie die Angst. Zeit und Raum hören auf zu existieren. Ich verschwinde.
Dann fährt mir der Knall meiner eigenen Waffe in die Ohren, lange nachdem ich den Abzug betätigt habe. Der Mann ist im Gras verschwunden, der Hund stürmt auf Benicio zu.
Die Zeit läuft weiter, Angst und Schmerz und das Entsetzen darüber, was gerade passiert, sind wieder da.
Benicio wirft sich auf seine Pistole, fährt herum und feuert zweimal. Der Hund jault auf, wird zur Seite geworfen und überschlägt sich in der Luft. Er jault noch einmal, dann schweigt er.
Ich lasse meine Waffe fallen, als habe sie mir die Hand versengt. Ich humple zu Benicio. Er kommt mir auf halbem Weg entgegen und schwingt seine Arme um mich. Ich kann kaum atmen. Der Mann, den ich niedergeschossen habe, liegt nicht weit von uns entfernt ausgestreckt am Boden. Ich wende mich ab, sehe aber noch seinen vom Hals bis zum Gürtel blutüberströmten Körper, ein schwarzes Loch gähnt an seinem Halsansatz, seine Augen sind offen und starren blicklos in die Sonne.
Ich beuge mich zur Seite und übergebe mich.
»Roberto«, sagt Benicio. »Verfluchter Roberto.« Benicio geht in der Nähe des Mannes durch das Gras. Er scheint zu weinen. Er murmelt etwas auf Spanisch.
Ich übergebe mich erneut und bin sicher, gleich in Ohnmacht zu fallen. Ich taumle zurück zu dem Baum. Ich bekomme das Bild von dem Einschussloch nicht aus dem Kopf.
Als nichts mehr aus meinem Magen kommt, spucke ich nur noch einmal aus und presse meine Hand gegen den Baum. »Wirmüssen hier verschwinden«, sage ich. »Man muss die Schüsse gehört haben.« Doch ich kann immer nur wieder denken, auch Roberto ist ein Sohn gewesen, ein Bruder, ein Ehemann, ein Vater. Er hat an den Tagen, an denen seine Mutter zur Krebstherapie musste, für seinen Vater den Wasserwagen gefahren.
Benicio macht eine Kopfbewegung in Richtung Boden.
Aus Versehen stütze ich mich auf mein verletztes Bein und der Schmerz explodiert bis in meinen Kiefer. Für die kommende Nacht sitzen wir hier fest. Ich kann, ich werde mich keinen Zentimeter mehr bewegen.
Ich hebe die Waffe auf und sichere sie. »Er oder wir«, sage ich mit einer Kaltblütigkeit, die mich selbst überrascht. Danach habe ich das Gefühl, als würde man eine schwere Gardine über meine Augen ziehen. Das Licht verblasst. Der ganze Tag verklingt.
17
Ein Kratzen. Irgendetwas wird in die Erde gestoßen. Ich öffne die Augen und sehe Benicio am Rande der Lichtung, zehn Meter entfernt. Ohne Hemd steht er in einem Sonnenstrahl, der sich seinen Weg durch die Bäume bahnt. Für einen Moment gebe ich mich ahnungslos, stelle mir vor, ich sei am Pool und Benicio würde im Garten arbeiten. Ich genieße die Form seiner Schultern, die Linie seines Rückens. Da erinnere ich mich daran, wie genau ich seine Hände kenne. Seinen Mund. Wie sich sein Körper in mir anfühlt.
Der Gedanke an Roberto drängt sich dazwischen. Alles tut mir auf einmal weh. Meine Muskeln ziehen sich wie ausgewrungene Stofffetzen unter meiner Haut zusammen. Ich versuche nicht einmal, mich zu bewegen.
Mit einem großen Ast hebt Benicio ein Grab aus. Der Boden scheint hart zu sein, ausgetrocknet von den Wintermonaten. Wie mit einem Eispickel hackt er darauf ein. Wie lange bin ich ohnmächtig gewesen? Wie lange gräbt er schon? Die Sonne steht tiefer am Himmel. Benicio scheint nur eine flache Kuhle in den Boden bekommen zu haben.
Ich versuche mich aufzusetzen, aber die eine Seite meines Kopfes fühlt sich an, als habe mich jemand mit einem Ziegelstein getroffen. Ich muss mit dem Kopf aufgeschlagen sein, als ich ohnmächtig geworden bin. Ich öffne meine Fäuste und lege meinen Kopf auf die Kleidungsstücke, die Benicio unter mich geschoben hat.
Ich beobachte, wie er den Ast beiseite wirft und ein Handy und Bargeld aus Robertos Taschen holt. Er stopft beides in seine eigenen. Dann wischt er sich mit dem Unterarm
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