Gefährliche Nebenwirkung (German Edition)
Fingern. Ich starre auf die Pfeile, die der Adler mit seinen Krallen gepackt hält, und habe das Gefühl, als würde jeder einzelne von ihnen mein Herz durchbohren. Ich laufe auf dem Balkon auf und ab und grüble fieberhaft, was ich als nächstes tun soll. Ich muss mich in Jonathon hineinversetzen. Denken, wie er denkt. Was ist sein Ziel? Ich spüre, er will, dass ich fliehe. Er möchte, dass mich irgendjemand dabei sieht. Deswegen hat er versucht, mir damit Angst einzujagen, dass jemand mich in irgendeinem Hotelzimmer finden könnte. Was wird er tun, wenn ich seinen Plan durchschaue und einfach bleibe, wo ich bin? Er kann nicht ahnen, wie sehr die vergangene Woche mich verändert hat. Was wird er tun, wenn ich überhaupt nichts unternehme?
Es ist eine Story. Ich muss darüber nachdenken wie über eine Story. Ich habe in meinem Leben Tausende von Büchern gelesen, ganz zu schweigen von denen, die ich redigiert habe. Wenn ich von einer Sache Ahnung habe, wie sie funktioniert,dann ist es eine Story. Wie wird sich diese entwickeln? Wie wird sie enden? Oder noch viel wichtiger, was muss passieren, damit Jonathons Verschwörung in meinem Sinne endet?
Der Anfang eines roten Fadens zeichnet sich ab. Wenn ich ihm folgen kann durch dieses Wirrwarr, werde ich auch einen Ausweg finden. Ich werfe einen Blick auf die Uhr. Oliver ist in der Schule und er würde das Haus niemals ohne sein Handy verlassen.
Ich hole das neue Telefon aus meiner Handtasche und schalte die Rufnummernübertragung ab, so wie man es mir in dem Laden gezeigt hat. Ich wähle Olivers Nummer, aber sofort meldet sich seine Voicebox. Stellt er während des Unterrichts sein Telefon ab?
Ich schwanke. Vielleicht hat Jonathon irgendetwas mit Olivers Telefon angestellt, nachdem wir telefoniert hatten, und ihm gesagt, dass es nicht mehr funktioniert.
Ich rufe noch einmal an und plötzlich habe ich meinen Jungen am Telefon. Im Hintergrund höre ich Pausenlärm.
»Oliver!«
»Mom! Was ist los?«, fragt er.
»Bist du in der Schule?«
»Ja, aber ich wollte gerade los. Dad hat eben angerufen und gesagt, es sei etwas passiert und ich soll unbedingt nach Hause kommen.«
Deswegen war ich auf seiner Voicebox gelandet. Er hatte gerade mit Jonathon telefoniert.
»Oh Gott, Oliver. Du musst mir vertrauen, Liebling. Es passiert gerade etwas Schreckliches.«
»Genau das hat Dad auch gesagt.«
»Was hat er noch gesagt?«
»Zum einen, dass ich nicht auf dich hören soll, falls du anrufst.«
Mein Herz schlägt mir plötzlich im Hals. Mit der freien Hand fahre ich durch die Luft. Ich muss schnell denken, dabei möchte ich eigentlich nur durchs Telefon greifen und ihn in Sicherheit ziehen.
»Rufst du wirklich aus der Schweiz an?«, fragt er.
»Aus der Schweiz?« Ich schwitze in der heißen Sonne auf dem Balkon. »Herr im Himmel, nein, Schatz, ich bin nicht in der Schweiz!«
»Dad hat gesagt, du seist da.«
»Ich bin sicher, dein Dad hat eine Menge Dinge gesagt, Oliver, und das sind alles Lügen.«
Er schweigt einen Moment und ich weiß, er überlegt, wem er glauben soll. Die nächsten Sekunden sind entscheidend.
»Wo bist du?«, will er wissen.
»Ich bin noch in Mexiko. Ich kann aber noch nicht nach Hause kommen …«
»Warum nicht?«
»Oliver. Ich bin nie in einem Wellness-Hotel gewesen. Ich bin entführt worden.«
»Was?«
»Es ist eine sehr lange Geschichte. Ich bin entkommen. Jetzt geht es mir gut. Ich kann dir nur sagen, dass dein Vater etwas damit zu tun hat. Geld hat etwas damit zu tun.«
»Das ist doch das totale Chaos. Als ich heute Morgen mit dir gesprochen habe, hast du gesagt, du seist in einem Wellness-Hotel. Einer lügt mich hier an.«
»Ich habe nur versucht, dich zu schützen. Ich wusste nicht … ich meine, nicht wirklich, wie tief dein Vater in die Sache verstrickt ist, bis ich mit ihm gesprochen hatte. Du musst mir einfach vertrauen. Ich wollte nur sichergehen, dass bei dir alles in Ordnung ist, Oliver. Bitte, bitte glaub mir.« Im Hintergrund höre ich Teenager plappern. Spindtüren klappen. »Oliver?«
Nichts.
»Oliver!«
»Er ist hier, Mom. Ich kann ihn durch die Tür sehen. Er steht am Straßenrand und wartet auf mich.«
»Scheiße. Kann er dich sehen?«
»Ich glaube nicht.«
Meine Gedanken rasen schneller durch meinen Kopf, als ich sie aussprechen kann. »Hör genau zu. Ich flehe dich an, Oliver. Geh zur gegenüberliegenden Seite der Schule und durch die Hinter tür raus. Ich möchte, dass du zu dem libanesischen Restau rant
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