Gefaehrliche Tiefen
Sonnenuntergang hatte die Aufmerksamkeit bestimmt verdient. Sie selbst konnte den Blick auch kaum von der Academy Bay abwenden, die sich von geschmolzenem Gold in violette Seide verwandelte.
Es kam Sam nicht gerecht vor, im Februar so weit gen Süden zu fliegen und trotzdem nicht mehr Stunden an Tageslicht zu bekommen als auf dem nördlichen Breitengrad ihres Zuhauses. Aber Ecuador war nach seiner Lage auf dem Ãquator benannt worden, und null Grad Breite bedeutete, dass Tag und Nacht das ganze Jahr über in etwa gleich lang waren.
Ihre Sonnenbrille glitt ihr die Nase hinunter, als sie ihre Taschen auf dem Pier neben den vier Druckluftflaschen abstellte, die Dan ausgeliehen hatte. Sie schob sich die Brille oben auf den Kopf. »Ich fühle mich wie ein Verbrecher, der sich aus der Stadt stiehlt, bevor er erwischt wird.«
Dan beugte sich erst nach rechts, dann nach links, um von jeder Schulter einen Matchsack schwer auf den Boden fallen zu lassen. AnschlieÃend beugte er den Kopf nach vorn und zog den Riemen des dritten Matchsacks hinüber, sodass jetzt nur noch sein Fernglas gegen seine Brust schlug. »Man hat uns schon erwischt. Oder zumindest entdeckt.«
»Dann verstecken wir uns also wirklich?«
»Unter den Einheimischen bleibt man normalerweise besser inkognito«, erwiderte er.
»Aber die Internetberichte â¦Â« SchlieÃlich war es ihr Auftrag, ihren Aufenthalt hier in alle Welt hinauszuposaunen. »Wieso hat sich die NPF auf diesen Deal mit
Out There
eingelassen?«
»Was meinst du?« Dan rieb den Daumen und die ersten beiden Finger aneinander, das weltweite Zeichen für Geld. »Die NPF ist zunehmend auf Spenden angewiesen, wie alle ehrenamtlichen Vereine heutzutage. Key Corporation finanziert diese Untersuchung. AuÃerdem ist internationale Unterstützung immer die beste Verteidigung â wir wollen, dass die Untersuchungsergebnisse so schnell wie möglich bekannt werden. Du kannst doch über die Galapagosinseln im Allgemeinen schreiben, oder? Du musst nicht genau angeben, wo wir gerade sind?«
»Ich werde deinen Namen nicht erwähnen. Und ich werde auf keinen Fall schreiben, dass wir auf einem Ausflugsboot sind.«
Out There
würde seinen Lesern sicher lieber verschweigen, dass die unerschrockenen Reporterinnen auf Yachten herumlümmelten. »Und ich werde keine genauen Ortsangaben machen.«
»Recht so.« Er gab ihr einen leichten Klaps auf die Schulter.
»Das ist meine Schuld. Ich hätte einen richtigen Flicken über das Logo auf meinem Taucheranzug kleben sollen, bevor ich losgefahren bin. Aber ich war davon ausgegangen, dass sich hier politisch alles ein bisschen beruhigt hätte. Immerhin liegt der
Pepino
-Krieg schon ein paar Jahre zurück.«
»Pepino?«
Sam fühlte sich von Minute zu Minute ratloser.
»Seegurke.«
»Aha.« Sie nahm sich das nächste beunruhigende Wort vor:
Krieg
. »Ich habe gelesen, dass es Ãrger gab wegen der Ãberfischung der Seegurken, aber von einem Krieg war da nie die Rede.«
Dan sah sie an. »Krieg ist vielleicht nicht das richtige Wort. Die
pepinos
wurden beinahe ausgerottet, aber Menschen kamen nicht ums Leben. Inzwischen haben sich die Wilderer auf andere Spezies umorientiert.«
»Und das wirst du dokumentieren, und ich werde es bekanntmachen.« Sie kaute eine Zeit lang auf ihrer Unterlippe herum und dachte über Wyatts Worte nach, dass die NPF für die Untersuchungen und sie für die Unterhaltung zuständig sei. Illegales Fischen mochte zwar eine Neuigkeit sein, sonderlich unterhaltsam klang es allerdings nicht.
Ein aufblasbares Dingi näherte sich jener Stelle des Piers, an der sie standen, und Dan hob die Hand zum GruÃ. Sobald der Kunststofffender gegen den Pier stieÃ, sprang ein kleiner, vierschrötiger Mann in Khakishorts und -hemd aus der Nussschale und band das Boot an einer Metallklampe fest. Seine dichten schwarzen Locken waren von grauen Strähnen durchzogen, und sein wettergegerbtes Gesicht trug die tiefen Falten eines Menschen, der viele Jahre in der Sonne verbracht hatte. Sam schätzte ihn auf Ende fünfzig oder Anfang sechzig.
»Amigo!«
Dan und der Mann umarmten sich, dann stellte Dan ihn ihr vor. »Das ist Eduardo Duarte, der älteste Naturführer hier auf den Galapagosinseln. Wir haben schon oft zusammengearbeitet. Eduardo weià mehr als die meisten Wissenschaftler der Darwin
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