Gefaehrliche Tiefen
magischer Ort. Doch das würde sich wohl kaum ändern.
Die Schildkröten blieben in dem ruhigen Wasser in der Nähe des Schiffs und schaukelten an der Oberfläche auf und nieder. Würden diese vertrauensseligen Tiere als Nächstes auf den Einkaufslisten in Taiwan und Tokio stehen? Sie musste zumindest versuchen, das zu verhindern.
Sam wandte sich vom Wasser ab, öffnete die Tür zum Aufenthaltsbereich und trat ein. Gedämpftes Licht empfing sie. Aus der kleinen Nische hinter der Bar drangen tiefe Stimmen, allerdings so leise, dass sie durch die Wand, die sie von ihnen trennte, nicht hören konnte, was gesprochen wurde.
Sie ging zum Bibliotheksbereich und knipste die Lampe über dem Regal mit den Nachschlagewerken an. Dann kniete sie sich hin und lieà die Finger über Enzyklopädien maritimen Lebens und ein paar Reiseführer über die Galapagosinseln gleiten, bis sie schlieÃlich fand, wonach sie suchte: ein Buch mit Karten. Sie setzte sich auf eine Couch in der Nähe und blätterte es durch, bis sie auf Strömungskarten für die Gegend um die Insel Isabela stieÃ.
Als die Männer aus der Nische auftauchten, blieben sie überrascht stehen und sahen Sam an. Die oberen Knöpfe der Uniform des Kapitäns standen offen, die Krawatte hing ihm locker um den Hals, sein Haar war zerzaust, als wäre er mit den Händen hindurchgefahren. Erstaunt registrierte Sam, dass er sich in Begleitung von Jon Sanders befand. Der kippte den Drink, den er in der Hand hielt, mit einem Schluck hinunter und stellte das leere Glas auf den hintersten Tisch. »Gute Nacht, Kapitän«, sagte er zu Quiroga gewandt, dann drehte er sich zu Sam um, neigte den Kopf und sagte: »Gute Nacht, Miss Westin. Morgen wird alles schon ganz anders aussehen.«
Sam bezweifelte das. Sanders ging zur Schiebetür, trat rasch in den Gang und entfernte sich in Richtung seiner Kabine.
Kapitän Quiroga beugte sich zu ihr hinunter. »Señorita Westin, der Aufenthaltsbereich ist jetzt geschlossen. Alle Passagiere sollten im Bett sein.«
»Ist die Polizei fertig geworden?«, fragte sie.
Er strich sich über die Bartstoppeln an seiner Wange. »Die
fiscalia
kommt morgen noch einmal her, um Befragungen durchzuführen.« Er griff nach dem Buch, das sie in der Hand hielt. »Bitte. Gute Nacht.«
Er nahm ihr das Buch aus den Händen, aber das war in Ordnung; sie hatte das Gesuchte gefunden. Laut den Tabellen vereinigte sich die Strömung, in der das Schiff jetzt lag, mit zwei weiteren, die sich rund um die Insel bewegten. Die Pfeile waren fettgedruckt, es musste sich also um eine starke Strömung handeln. Wenn Dan hinter der felsigen Halbinsel, in deren Windschatten sie zuvor geankert hatten, hinausgeschwommen â oder von einem Boot ins Wasser geworfen worden â war, konnte es ihn durchaus in die Bucht getrieben haben, in der sie ihn gefunden hatte.
Quiroga öffnete die Schiebetür, und frische Luft drang in den Aufenthaltsbereich. Im Gang blieb er stehen und wartete, bis sie die Innentreppe zu ihrer Kabine hinuntergegangen war. Sie spürte seinen Blick im Rücken, als sie auf ihr luftleeres Unterwasserquartier zusteuerte. Ob irgendjemand protestieren würde, wenn sie ihr Bettzeug auf das Oberdeck trug und unter dem Sternenhimmel schlief? Vielleicht sollte sie das auch all den anderen Höhlenbewohnern vorschlagen, Sandy und Jerry, den Studenten in Kabine sechs, Dan â¦
Verdammt!
Wie oft würde ihr das in den nächsten Tagen wohl noch passieren?
Chase und Nicole â vor Ort besser bekannt als Charlie und Nikki â saÃen im
Horseshoe Tavern
, tranken mit Dread und drei weiteren Demonstranten und erzählten ihnen erfundene Geschichten von Arbeitsplatz- und Wohnungsverlusten. Chase nippte an seinem Bier und versuchte, sich möglichst viele Einzelheiten einzuprägen, um sie später weitergeben zu können. Randy Darkin war ein braunhaariger Hüne Mitte zwanzig, dessen Haar und Bart beide genau einen Zentimeter lang waren, was einen vage an Konzentrationslager erinnerte. Er trug ein Muskelshirt, das seinen mit einer Polizeimarke tätowierten Bizeps frei lieÃ. Seine dünne Frau Joanne schien ein paar Jahre älter zu sein als er. Sie sagte kaum etwas, und an ihrem Kinn lieÃen sich noch die gelblichen Reste eines alten Blutergusses erkennen.
Der sechste im Bund war Alvin Marshall, der sich verständlicherweise nur mit
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