Gefaehrliche Tiefen
Es ist schon fast einundzwanzig Uhr!«
Mike Whitney, der Chefredakteur von
Out There
. Das Schuldgefühl, das sie im ersten Moment empfand, schlug rasch in Ãrger um und dann in Traurigkeit.
»Es hat â¦Â« Sie hatte einen Kloà im Hals, den sie rasch hinunterschluckte. Sie zwang sich weiterzureden. »Es hat einen ⦠Unfall gegeben, Mike. Hier ist fast schon Mitternacht. Ich glaube, ich schaffe das heute nicht mehr.«
»Sie glauben, Sie schaffen das heute nicht mehr? Wehe, das ist kein Wahnsinnsunfall! Was ist passiert?«
Dan Kazaki ist heute gestorben.
Die Worte lagen ihr bereits auf den Lippen, doch dann zögerte sie. Offiziell wurde Dan nur vermisst. Wer weiÃ, wann die amerikanische Botschaft Elizabeth Kazaki davon in Kenntnis setzen würde. Wenn sie Whitney erzählte, dass Dan tot war, würde
Out There
diese Nachricht innerhalb von Minuten über das Internet verbreiten.
»Was ist los, WildWest?«
»Nennen Sie mich nicht so.« Es missfiel ihr, dass das Team in Seattle von ihr sprach, als wäre sie eine virtuelle Figur wie Zing.
»Es sind doch nur ein paar Hundert Wörter. Man hat mir gesagt, Sie seien Profi. Haben Sie heute irgendwelche Fotos oder Videos gemacht?«
»Ãhm ⦠ja.« Wie es aussah, hatte sie nur zwei Möglichkeiten: Erklären, was hier los war, oder ihm genügend zukommen lassen, damit er erst mal Ruhe gab. Die Fotos und das Video von ihrer Wanderung hinauf zum Alcedo befanden sich noch in ihrer Kamera.
»Na dann. Falls Sie also Ihren Vertrag behalten und mich nicht um meinen Job bringen wollen, schicken Sie uns jetzt umgehend die zwei Berichte. Wenn die Dateien nicht spätestens in einer Stunde im Netz sind, macht Wyatt uns beide einen Kopf kürzer.«
Eine Zeit lang hörte sie im Telefon nur lautes Rauschen â aber vielleicht war es auch bloà ihr Blut, das ihr vor Wut so laut in den Ohren rauschte. Whitney traf allerdings keine Schuld an alldem. »Es wird eher eine Rohfassung sein«, erwiderte sie, »aber Sie bekommen sie in einer halben Stunde.«
Sobald sie die Kamera an ihren Laptop angeschlossen und die Mediendateien herübergeladen hatte, lieà ihre Wut nach. Es tat gut, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Für Wilderness Westin stellte sie die Videoclips von der Riesenschildkröte und den Leguanen zusammen und verfasste rasch einen Text mit dem Inhalt, wie sich die Reptilien an das Leben auf der Insel angepasst hatten: Die Schildkröten lebten in der Höhenregion, wo mehr Pflanzen wuchsen, und die Leguane hatten sich einem Leben im Wasser angepasst und fraÃen Seetang statt Blätter und Früchte, von denen sie sich in einem grüneren Umfeld ernährt hätten.
Für Zing griff sie auf das Bildmaterial zurück, das sie noch nicht verwendet hatte â das Foto von dem Barrakuda über dem Trümmerfeld und das Video von dem Hammerhai, der die Krabben aufscheuchte, als er die Zähne in die Leichenreste schlug. Sie erklärte, wieso die Meeresschutzzone für diese Tiere keinen sicheren Ort darstellte. Dann fügte sie noch ein paar Fotos von Seegurken hinzu, die bei ihrem ersten Tauchgang mit Dan entstanden waren. Als sie die Fotos durchging, kam sie auch zu dem ersten, das sie gemacht hatte: Dan, wie er sie mit Kugelschreiber im Mund anschaute. Es tat weh, sein Lächeln zu sehen.
Gerade als sie Zings Bericht an die Redaktion in Seattle abschicken wollte, klopfte es an ihrer Tür. Im nächsten Moment wurde sie aufgerissen, und die beiden uniformierten Männer drängten sich in Sams winzige Kabine.
Sam stand auf und schob den Stuhl unter den Schreibtisch, um Platz zu schaffen. Der starke Geruch nach Schweià und Zigaretten, der von Aguirre ausging, stieg ihr unangenehm in die Nase. Unter den Arm hatte sich Aguirre Dans Notebook geklemmt.
Schwartz streckte ihr ein Foto entgegen. Elizabeth und Sean. Sam musste den Blick von ihren glücklichen Gesichtern abwenden. »
Familia
Kazaki«, brachte sie mühsam heraus. Der Polizist nickte und steckte das Foto in seine Hemdtasche.
Aguirre durchsuchte ihre Kabine und wühlte sich durch Kleidung und Bücher, während Schwartz sie im Auge behielt. Als Aguirres Hand über ihre Tampons glitt, stockte ihr der Atem. Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu. Würden sie ihren Laptop beschlagnahmen? Rasch drückte sie die nötige Tastenkombination, um die Dateien nach Seattle zu
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