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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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herausbrachte.
    »Das ist nicht wahr«, würgte sie schließlich hervor. »Das Militär besteht aus Männern, und die an der Spitze sind fast alle starrköpfig und dumm - genau wie Sie. Sie haben nicht die leiseste Ahnung, was sie eigentlich tun, schießen aber lieber einen Bock nach dem andern, egal wie viele Menschen dadurch ums Leben kommen, als ihre Unfähigkeit zuzugeben und Hilfe anzunehmen.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Sie würden eher sterben, als auf eine Frau zu hören - was ja nichts Neues ist. Aber daß andere Leute ihretwegen das Leben lassen müssen, kann ich ihnen nicht verzeihen.«
    Das Auftauchen des Gerichtsdieners ersparte Monk, sich eine Antwort ausdenken zu müssen. Hester wurde in den Gerichtssaal gebeten. Sie stand erhobenen Hauptes auf und rauschte wortlos an ihm vorbei. Im Eifer des Gefechts blieb ihr Rock in der Tür hängen, so daß sie stehenbleiben und ihn, zu ihrem größten Verdruß, herauszerren mußte. Nachdem das vollbracht war, warf sie ein flüchtiges Lächeln über die Schulter in Callandras Richtung und folgte dem Gerichtsdiener mit einem flauen Gefühl im Magen durch den kurzen Gang in den Gerichtssaal.
    Der Raum war riesig, fast bis zur enorm hohen Decke mit Holz verkleidet und dermaßen mit Leuten vollgepfropft, daß Hester sich von allen Seiten bedrängt fühlte. Sie konnte die Wärme der erhitzten Körper spüren, als sie sich reckten und die Hälse verrenkten, um zu sehen, wer da hereinkam; während sie sich bemühten, das Gleichgewicht nicht zu verlieren, war ein beständiges Rascheln, Schnaufen und Füßescharren zu hören. In den Pressebänken flitzten Stifte über Papier, um flüchtige Notizen oder Skizzen von Gesichtern und Hüten festzuhalten.
    Hester hielt den Blick starr geradeaus gerichtet und marschierte durch den freigeräumten Mittelgang auf den Zeugenstand zu. Verärgert registrierte sie, daß ihre Knie zitterten. Auf der untersten Stufe geriet sie ins Stolpern, woraufhin ihr der Gerichtsdiener eine Hand reichte, um ihr Halt zu geben. Sie sah sich nach Oliver Rathbone um, entdeckte ihn auch sofort, mußte allerdings feststellen, daß er mit seiner Perücke vollkommen anders wirkte - unnahbar. Er betrachtete sie mit demselben höflich distanzierten Blick, den er vermutlich einem Fremden geschenkt hätte; ein Blick, der erschreckend kalt war.
    Sie hätte sich kaum miserabler fühlen können und kam zu dem Schluß, daß es wahrscheinlich nicht schaden konnte, sich den Grund für ihr Hiersein in Erinnerung zu rufen. Ihre Augen flogen zu Menard Grey, der auf der Anklagebank saß. Nichts ließ mehr auf sein ehemals blühendes Äußeres schließen; er war blaß, sah erschöpft und sehr verängstigt aus. Der Anblick reichte, ihr wieder Mut zu geben. Was war dagegen schon ihr vorübergehendes, ziemlich kindisches Gefühl totaler Einsamkeit?
    Man reichte ihr die Bibel. Sie schwor mit klarer, fester Stimme, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit.
    Rathbone kam ihr einige Stufen entgegen und begann in ruhigem Ton: »Miss Latterly, soviel ich weiß, befanden Sie sich unter den jungen Frauen aus guter Familie, die auf Miss Florence Nightingales Anfrage hin ihr Zuhause verließen und an die Krim segelten, um unsere Soldaten an den dortigen Kriegsschauplätzen zu pflegen?«
    Der Richter, ein steinalter Mann mit breitem, launischem Gesicht, beugte sich vor.
    »Ich bin sicher, Miss Latterly ist eine bewundernswerte junge Dame, Mr. Rathbone, aber ist ihre krankenpflegerische Erfahrung für diesen Fall wirklich relevant? Der Angeklagte hat weder an der Krim gedient, noch wurde das Verbrechen dort begangen.«
    »Miss Latterly begegnete dem Opfer im Militärlazarett von Skutari, Euer Ehren. Die Wurzeln des Verbrechens sind dort zu finden, auf den Schlachtfeldern von Balaklawa und Sewastopol.«
    »So, sind sie das? Der Staatsanwaltschaft nach zu urteilen, dachte ich im Kinderzimmer von Shelburne Hall. Aber gut fahren Sie bitte fort.« Er lehnte sich auf seinem Hochsitz zurück und starrte Rathbone düster an.
    »Miss Latterly?« soufflierte Rathbone barsch.
    Erst jedes Wort vorsichtig abwägend, dann zunehmend selbstsicherer, als sie sich nach und nach doch von ihren Gefühlen mitreißen ließ, erzählte Hester dem Gericht von dem Krankenhaus, in dem sie gearbeitet hatte, von den Männern, die sie zwar nur flüchtig, aber doch so gut kennengelernt hatte, wie ihre Verletzungen es erlaubten. Im Lauf ihres Berichts ebbte die Unruhe im Saal allmählich ab. Die

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