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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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meisten Gesichter blickten plötzlich interessiert; selbst Menard Grey hatte den Kopf gehoben und schaute sie gebannt an.
    Rathbone kam hinter seinem Pult hervor und begann auf und ab zu gehen. Er hielt sich dabei vollkommen ruhig, zappelte nicht herum, damit sie nicht abgelenkt wurde. Seine Bewegungen glichen vielmehr einem lässigen Umherstreifen, das die Geschworenen hindern sollte, zu tief in der Geschichte zu versinken und zu vergessen, daß sie wegen eines Verbrechens erzählt wurde, das hier in London begangen worden war - von einem Mann, dessen Leben auf dem Spiel stand.
    Hester war mittlerweile an dem Punkt angelangt, als sie nach Hause zurückgekehrt war. Rathbone entlockte ihr alle Details ohne zuzulassen, daß sie sich auch nur einmal wiederholte oder nach Mitleid heischend klang. Sie folgte seiner Regie mit wachsender Bewunderung für das ungeheure Geschick, mit dem er das Bild eines sich ständig verschlimmernden, unentrinnbaren Desasters schuf. Die Gesichter der Männer auf der Geschworenenbank hatten bereits einen tief betroffenen Ausdruck angenommen, und sie wußte genau, wie sich ihr Unmut entladen würde, wenn das letzte Steinchen ins Mosaik eingefügt wurde und sie die schreckliche Wahrheit begriffen.
    Sie wagte weder Fabia Grey anzusehen, die, immer noch in Schwarz, in der ersten Reihe saß, noch deren Sohn Lovel und seine Frau Rosamond auf den angrenzenden Plätzen. Jedesmal, wenn ihr Blick unbeabsichtigt in diese Richtung schweifte, wandte sie ihn abrupt ab und heftete ihn auf Rathbone oder irgendein unbekanntes Gesicht in der Menge.
    Auf seine vorsichtigen Fragen hin erzählte sie von ihrem Besuch bei Callandra in Shelburne Hall, von ihrem ersten Zusammentreffen mit Monk und allem, was anschließend geschehen war. Es gab eine paar kleinere Pannen, und sie mußte korrigiert werden, aber sie lieferte nie mehr als eine einfache Antwort.
    Zu dem Zeitpunkt, als Rathbone ihnen die dramatische Schlußfolgerung präsentierte, waren die Gesichter der Geschworenen fassungslos vor Wut und Bestürzung. Sie waren zum erstenmal in der Lage, Menard Grey anzusehen, denn sie konnten plötzlich nachvollziehen, was er getan hatte - und warum. Mancher mochte vielleicht sogar denken, er hätte nicht anders reagiert, hätte ihm das Schicksal derart übel mitgespielt.
    Dann war es vorbei; Rathbone dankte ihr mit einem blitzartigen, überwältigenden Lächeln und trat zurück. Hester spürte plötzlich, daß jeder Muskel ihres Körpers vor Anspannung schmerzte und ihre Handflächen aufgekratzt waren, wo ihre Fingernägel sich hineingegraben hatten.
    Da sprang auch schon der Staatsanwalt mit unheilvollem Grinsen auf die Füße. »Bitte bleiben Sie, wo Sie sind, Miss Latterly. Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir Ihre überaus rührende Geschichte ein wenig auf die Probe stellen?« Die Frage war unverkennbar rhetorisch. Er hatte eindeutig nicht die Absicht, eine Aussage wie diese unangefochten im Raum stehenzulassen, und Hester merkte, wie ihr der Schweiß aus allen Poren drang. Im Moment sah es für ihn ganz nach einer Niederlage aus, was nicht nur einen Schock in dieser speziellen Angelegenheit bedeutete, sondern ihn darüber hinaus persönlich so tief traf, daß er förmlich Körperqualen zu leiden schien.
    »Nun, Miss Latterly, geben Sie zu, daß Sie eine Frau waren und es immer noch sind -, die ihre erste Jugend längst hinter sich hatte, keine bedeutsame Herkunft vorweisen konnte und in drastisch verarmten Verhältnissen lebte, als Sie eine Einladung nach Shelburne Hall annahmen, dem Landsitz der Familie Grey?«
    »Ich nahm eine Einladung von Lady Callandra Daviot an«, korrigierte Hester.
    »Nach Shelburne Hall«, sagte er scharf. »Richtig?«
    »Richtig.«
    »Vielen Dank. Und Sie verbrachten während dieses Besuchs auch einige Zeit mit dem Angeklagten, Menard Grey?«
    Sie holte Luft, um »Nicht allein« zu sagen, erwischte gerade noch rechtzeitig Rathbones Blick und ließ sie ungenutzt entweichen. Dann schenkte sie dem Staatsanwalt ein unschuldiges Lächeln, als hätte sie die Anspielung nicht verstanden.
    »Selbstverständlich. Es ist unmöglich, sich bei einer Familie aufzuhalten und den verschiedenen Angehörigen nicht von Zeit zu Zeit zu begegnen.« Sie war versucht hinzuzufügen, daß ihm derlei Dinge vielleicht ein Buch mit sieben Siegeln waren, hielt sich aber zurück. Es wäre ein billiger Lacher, womöglich teuer bezahlt. Das war kein Gegner, dem man Boden unter den Füßen verschaffte.
    »Soweit

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