Gefährliche Trauer
runterschleichen und mit einer Flasche unterm Mantel wieder raufkommen sehen.«
»Das überzeugt mich nicht besonders.«
»Dann nehmen Sie sich eben Mrs. Sandeman vor.« Percivals Gesicht wurde hart. Ein boshafter Zug schlich sich in seine Mundpartie. »Beschäftigen Sie sich einmal mit ein paar Exemplaren aus ihrer Gefolgschaft. Ich hab sie ab und zu mit der Kutsche zu ein paar sehr eigenartigen Orten gebracht. Marschiert die Rotten Row ab wie eine Sixpennyhure und liest ein Zeug, das Sir Basil auf der Stelle verbrennen würde, wenn's ihm unter die Augen käme; Skandalblätter, Sensationspresse. Mr. Phillips würde sofort jeden Dienstboten entlassen, den er mit solchem Schrott erwischt.«
»Das tut nichts zur Sache. Mrs. Sandeman könnte er nicht entlassen, egal, was sie liest.«
»Aber Sir Basil.«
»Ob er das wirklich täte? Sie ist seine Schwester, keine Angehörige des Personals.«
Percival grinste. »Könnte sie aber genausogut sein. Sie hat zu kommen und zu gehen, wann er sagt, muß anziehen, was ihm gefällt, darf nur sprechen, mit wem ihm paßt, und muß dazu noch seine Freunde unterhalten. Ihre eigenen darf sie nicht hierher einladen, es sei denn, sie finden seine Billigung. Ansonsten verbietet er es einfach - genau wie allen andern im Haus.«
Ein junger Mann mit boshaftem Mundwerk und einer ordentlichen Portion intimer Kenntnisse über die einzelnen Familienmitglieder, dachte Monk; höchstwahrscheinlich ein verängstigter junger Mann. Vielleicht war seine Angst sogar begründet. Die Moidores würden nicht ohne weiteres zulassen, daß der Verdacht auf jemand aus den eigenen Reihen fiel, wenn er auf einen Dienstboten gelenkt werden konnte. Percival wußte das; vielleicht war er der erste in der Gesindestube, der die Gefahr klar erkannt hatte. Ohne Zweifel würden die andern zu gegebener Zeit nachziehen; die Geschichten würden immer scheußlicher werden, je mehr die Furcht sie gefangennahm.
»Danke, Percival«, sagte Monk müde. »Das war's, jedenfalls vorerst.«
Percival öffnete den Mund, wie um etwas hinzuzufügen, besann sich dann eines Besseren und ging schweigend hinaus. Seine Bewegungen waren anmutig - gut einstudiert.
Monk kehrte in die Küche zurück, um sich die versprochene Tasse Tee zu Gemüte zu führen, erfuhr jedoch nichts von Belang, so sehr er die Ohren auch spitzte, und entfernte sich daraufhin auf demselben Weg, den er gekommen war. Von der Harley Street aus nahm er einen Hansom in die Innenstadt. Diesmal hatte er mehr Glück. Er traf Myles Kellard in seinem Büro in der Bank.
»Ich wüßte wirklich nicht, wie ich Ihnen helfen kann«, erklärte Myles, während er Monk neugierig musterte. In seinem länglichen Gesicht blitzte ein Anflug von Belustigung auf, als fände er dieses Treffen ein wenig lächerlich. Er saß in eleganter Manier auf einem der Chippendalestühle in seinem mit erlesenen Teppichen geschmückten Büro, die Beine lässig übereinandergeschlagen. »Selbstverständlich existieren zwischen den einzelnen Familienmitgliedern Spannungen - wie in jeder Familie. Aber keine davon könnte als Mordmotiv stark genug sein, es sei denn, der Betreffende wäre verrückt.« Monk schwieg.
»Ich könnte viel eher verstehen, wenn Basil das Opfer gewesen wäre«, fuhr Myles in etwas schärferem Ton fort.
»Cyprian könnte endlich gemäß seiner eigenen politischen Einstellung handeln statt der seines Vaters - und seine Schulden bezahlen, was ihm und der reizenden Romola das Leben erheblich erleichtern würde. Es fällt ihr nicht gerade leicht, im Haus eines andern wohnen zu müssen. Der Wunsch, in der Queen Anne Street das Zepter zu führen, ist ihr oft deutlich anzusehen. Bis dahin wird sie allerdings ganz die treuergebene Schwiegertochter spielen. Schließlich lohnt sich das Warten.«
»Und Sie, nehme ich an, würden in dem Fall umziehen?« fragte Monk schnell.
»Na!« Myles schnitt ein Gesicht. »Wie unhöflich von Ihnen, Inspektor. Aber ja, das würden wir zweifellos. Nur scheint der gute alte Basil auch noch die nächsten zwanzig Jahre durchzuhalten. Wie dem auch sei - es ist Tavie, die ermordet wurde, also führen derartige Überlegungen zu nichts.«
»War Mrs. Haslett über die Schulden ihres Bruders im Bilde?«
Myles' Brauen schossen nach oben, was ihm ein recht eigenartiges Aussehen verlieh. »Ich glaube nicht, aber es wäre eine Möglichkeit. Worüber sie mit Sicherheit im Bilde war, war sein Interesse am Weltbild dieses gräßlichen Mr. Owen samt seinem Tick, die
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