Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
glich, den er je erlebt hatte. Er war schlimmer als zerrissenes Gewebe und gebrochene Knochen, viel schlimmer. Es fühlte sich an, als ob etwas Lebenswichtiges in ihm zerbrochen und in die Luft gegangen wäre – etwas in seinem tiefsten Inneren – , und kein Medikament konnte ihm helfen, es würde nie wieder heilen.
Grace hatte ihn verlassen. Er fühlte sich haltlos, ohne jede Verbindung zu dieser Welt. Selbst in seinen dunkelsten Tagen als obdachloser Junge auf der Straße hatte er sich nie so … leer gefühlt. Die Lebenskraft, die ihn bislang stets aufrechterhalten hatte, war verschwunden.
Vermutlich war er in der Lage sich aufzusetzen, sogar aufzustehen und herumzugehen. Er musste genäht werden und brauchte Antibiotika, aber er würde funktionieren. Er hatte sich schon in weitaus schlechterem Zustand aus ähnlich schlimmen Situationen herausgewunden.
Er wusste, was er zu tun hatte. Der Geldmangel spielte keine Rolle. Er hatte sein Handy und konnte seine Gelder nach und nach abrufen. Es würde seine Zeit dauern und Mühe machen, das war alles.
Grigori wartete auf ihn. Der Plan war gut, nahezu narrensicher. Grigori würde bei der Gulfstream 4 auf einem kleinen, privaten Flugplatz in der Nähe des Flughafens von Tampa warten, auf dem sehr reger Frachtverkehr herrschte. Grigori hatte Zugang zu sämtlichen Flugplänen. Er würde sie nachts herausfliegen, in nur achthundert Metern Entfernung zu einem Frachtflieger auf dem Weg nach Osteuropa, sich dabei direkt unter dem Abgasstrahl der Maschine halten, die Anti-Kollisionslichter ausgeschaltet, und damit für den Radar vollkommen unsichtbar sein.
Sie würden den Atlantik überqueren, immer im Schatten des Frachtflugzeugs, ohne dass es irgendjemandem auffallen würde. Das war die Standardvorgehensweise für Drakes Flüge.
Landen würden sie in Montenegro, dessen stellvertretender Premierminister einer von Drakes besten Kunden war. Ein Boot würde sie nach Apulien, dem Stiefelabsatz Italiens, bringen, wo ein Wagen auf sie wartete, der sie nach Rom fahren würde. Grace hatte sich gewünscht, Rom zu sehen, und bei Gott, er hatte sie dorthin bringen wollen.
Das war jedenfalls sein Plan gewesen: ein paar Tage in Rom, wo er ihr all die Sehenswürdigkeiten gezeigt hätte, und dann der Flug zu ihrem endgültigen Bestimmungsort, Sivuatu, tausend Meilen von Fidschi und eine Million Meilen von Nirgendwo entfernt.
Aber auch ohne Grace war der Plan gut. Im Grunde genommen musste er sowieso nach Rom, wo der zweitbeste Fälscher der Welt lebte. Er hatte ohne Papiere fliehen müssen, und die würde Signor Caselli ihm beschaffen. Einen belgischen Pass, einen maltesischen Pass und vielleicht noch einen kroatischen.
Allerdings … wenn Grace fort war, warum sollte er dann überhaupt das Land verlassen, warum ein neues Leben führen? Er hatte doch nur deswegen geplant, sein altes Leben hinter sich zu lassen und sich eine neue Existenz aufzubauen, um sie zu beschützen. Wenn sie fort war, konnte er in sein altes Leben zurück.
Ja, sicher, sein Sicherheitssystem war kompromittiert worden. Er würde die Sicherheitsmaßnahmen eben verschärfen. Hinter den Fenstern würde er Platten aus rostfreiem Stahl anbringen lassen, seine Bodyguards würde er umbesetzen, neue engagieren und seine Ausrüstung für Videokonferenzen aufrüsten. Er würde den Scheißkerl finden, der ihn verraten hatte, und ihn dafür bezahlen lassen.
Und sich verkriechen. Den Großteil seiner Geschäfte konnte er doch über eine Webcam-Verbindung erledigen. Es bestand gar kein Bedarf, das Haus überhaupt jemals zu verlassen.
Drake lag auf dem dreckigen Bett, zählte die Risse in der Decke und versuchte sich dazu zu motivieren, endlich aufzustehen und in Gang zu kommen, und doch rührte er sich nicht. Wieso gab ihm der Gedanke, nach New York zurückzukehren und unter verbesserten Sicherheitsmaßnahmen zu leben, das Gefühl, bereits tot und begraben zu sein?
Er konnte seine Muskeln einfach nicht in Bewegung setzen. Er besaß die Kraft dazu, aber nicht das Herz. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er gar nicht den Wunsch weiterzumachen. Seine Brust fühlte sich hohl und leer an, als ob ihm das Herz herausgerissen worden wäre und sich dort nur noch ein klaffendes Loch befände.
Wozu er sich auch immer entschied – vorwärts in ein neues Leben oder zurück zum alten – , er musste sich schnell entscheiden.
Aber er konnte sich nicht bewegen. Er lag auf dem Rücken und beobachtete die Scheinwerfer der
Weitere Kostenlose Bücher