Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
Gesicht verlaufen, sodass sein ehemals weißes Hemd inzwischen hellrosa war, und sein dünnes graues Haar klebte ihm am Kopf. Er schwankte.
„Oh Gott!“ Grace’ Herz schlug wie verrückt. Sie legte ihre Hand auf die Hand des Mannes, die ihren Oberarm festhielt, eine Hand, die so groß war, dass sie trotz des Mantels um ihren Arm reichte. Beinahe hätte sie sie sofort wieder weggezogen, als sie ihre Hitze spürte. Es war eisig kalt, aber seine große Hand war so heiß, dass sie sich wie ein Bügeleisen an ihrem nassen Mantel anfühlte. „Lassen Sie mich zu ihm gehen, bitte!“
Sie zog noch einmal, die Hand des Mannes packte noch fester zu, und dann auf einmal … verschwand Harold. Oder zumindest sein Kopf. Wo eben noch sein Kopf gewesen war, löste sich jetzt ein pinkfarbener Nebel rasch im Regen auf. Eine halbe Sekunde später lag Grace mit dem Gesicht nach unten auf dem Bürgersteig und auf ihr ein Mann mit dem geschätzten Gewicht von einer Tonne. Irgendetwas schwirrte durch die Luft und schlug Löcher ins Pflaster, in die Wände der Galerie. Betonsplitter regneten auf sie hinab.
Grace war so geschockt, dass es einige lange Sekunden dauerte, ehe sie begriff, was dieses scharfe Knallen zu bedeuten hatte.
„Gottverdammt! Ein Scharfschütze.“ Die tiefe, leise Stimme sprach direkt in ihr Ohr, so nahe, dass sie seinen Atem spürte. Er hob sie hoch und zog sie näher an den Bordstein heran, bis sie hinter dem vorderen Kotflügel eines großen schwarzen Wagens lag. „Der Motorblock sollte eine Kugel aufhalten. Bleiben Sie hier, und rühren Sie sich nicht vom Fleck!“
Ein weiterer Knall erklang, und sein massiger Körper zuckte zusammen.
Grace hob leicht den Kopf, um ihn anzusehen. Sie begriff überhaupt nicht, was er sagte. Dann sah sie zurück auf die Straße, wo ein lumpiger Haufen von Kleidungsstücken im Eingang zur Galerie lag und sich der Regen erst rot und dann rosa in den Rinnstein ergoss. Nichts von alldem ergab einen Sinn, am allerwenigsten die Überreste ihres besten Freundes, eine zerschmetterte Masse grau-rosa Fleisches.
„Harold“, flüsterte sie. Ihre Stimme zitterte so stark, dass sie die Buchstaben kaum zu formen vermochte.
„Ist tot“, sagte der Mann brutal. „Und wir müssen jetzt am Leben bleiben. Nein, verdammt!“ Er warf seinen eisenharten Arm über ihren Rücken. Sie hatte blindlings versucht, sich aufzurichten, hatte sich mit bebenden Händen auf dem Boden aufgestützt, um … um zu Harold zu gehen.
Und irgendetwas zu tun.
„Bleiben Sie unten , verdammt noch mal!“, zischte der Mann über ihr. Eine riesige Hand bedeckte ihren Hinterkopf und drückte ihn herab, bis ihre Wange auf dem rauen Pflaster lag. Sie beobachtete, wie die großen Regentropfen auf dem Beton aufkamen und abprallten. Ihr Kopf war völlig leer.
Der schwere Mann auf ihr bewegte sich und begann mit leiser, tiefer und dringlicher Stimme zu sprechen. Was sagte er bloß? Was auch immer es war, von ihr war keine Antwort zu erwarten. Sie war zu geschockt, um mehr als ein paar Worte hier und da zu verstehen. Scharfschütze … westliche Seite der Lexington … Fenster im ersten Stock … kommt von Westen …
Sie brauchte einige Sekunden, ehe sie begriff, dass er nicht mit ihr, sondern in sein Handy sprach. Er diskutierte irgendeine Art Strategie. Die Worte flogen in ihren Kopf und direkt wieder hinaus. Das Einzige, was den Nebel in ihrem Kopf durchdrang, war die tiefe Ruhe in seiner Stimme, die Sicherheit. Er hätte genauso gut über die Speisefolge des Abendessens plaudern können. Erstaunlich, dass diese Stimme von einem Mann kam, der unter Beschuss stand.
Selbst sein Körper war ruhig. Sein Mantel musste wohl offen sein, denn sie spürte die Hitze seiner breiten Brust an ihrem Rücken. Sein Herzschlag war stark und regelmäßig, ganz im Gegensatz zu ihrem eigenen, der wild und heftig in ihrer Brust klopfte. Seine Atmung war ruhig und gleichmäßig, während sie die Luft in gierigen Zügen einsog, die sie beinahe erstickten und in ihren Lungen brannten.
Nach einem Klicken schloss er das Handy wieder.
Tränen rannen ihr übers Gesicht, verloren im Regen.
„Meine Männer kommen.“ Wieder diese tiefe, ruhige Stimme an ihrem Ohr. Es war verrückt, aber irgendwie beruhigte es sie ein wenig. „Ich hole Sie hier heraus, versprochen.“
Eine riesige Hand stützte sich neben ihrem Gesicht auf das Pflaster, darin seine Waffe, groß und schwarz und ölig. Dann fiel ihr plötzlich noch etwas auf: Unter ihr
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