Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
sehen.
Das harsche Licht der Deckenleuchte im Aufzug zeigte jeden Kratzer, jeden Blutstropfen auf ihrem bleichen Gesicht. Er konnte deutlich die aufgesprungene Haut an ihrer Schläfe sehen, wo Mündung und Korn der SIG eine Wunde gerissen hatten. Ihr linker Wangenknochen war aufgescheuert worden, als er versucht hatte, ihr Gesicht so dicht wie möglich auf das Pflaster zu drücken, um sicherzustellen, dass sie in Deckung war. Sie stand unter Schock und blutete, war blass und verletzt. Sie zitterte. Ihr Haar war nass und verdreckt, ihre Kleidung zerrissen und schmutzig.
Doch selbst so war sie die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Er drückte auf den Knopf und die Aufzugtüren öffneten sich. Seine Männer waren nirgends zu sehen, aber Drake wusste, dass sie nicht weit sein konnten.
Grace sah aus, als würde sie zerbrechen, wenn er sie anfasste. Ihre Haut war wächsern, die Prellungen wirkten schockierend dunkel gegen ihre unnatürlich bleiche Haut. Sollte er es wagen, den Arm um sie zu legen? Er wollte sie nicht erschrecken, aber sie wirkte, als ob sie jeden Moment umfallen könnte, wenn er nicht schleunigst etwas unternahm.
Schließlich entschied er sich für einen Kompromiss: Er nahm ihren Arm und ging los. Sie folgte ihm, etwas unsicher auf den Beinen.
Sie durchquerten die große, leere Halle. Sie war hell erleuchtet, und an den Deckenleisten waren ringsherum Sicherheitskameras angebracht, die ein Team von neun Männern im Untergeschoss, das in Dreierschicht rund um die Uhr und sieben Tage in der Woche arbeitete, nicht aus den Augen ließ. Drake gab einen siebenstelligen Code ein und legte die Handfläche auf ein Glasfeld in der Wand. Das Feld blitzte leuchtend grün auf. Dann endlich legte er die Hand auf die gewaltige Stahltür und öffnete sie mit Leichtigkeit – ein Beweis für die ausgezeichneten Scharniere, angesichts der Tatsache, dass sie eintausend Pfund wog. Sie war nach exakt denselben Spezifikationen gebaut worden wie die Türen, die in den meisten Citibanks in den Tresorraum führten.
Sie überquerten die Schwelle.
„Willkommen“, murmelte er. Er sah, wie sie die Augen angesichts des dreistöckigen Atriums aufriss.
Wenn sich Drake zu irgendeinem Zeitpunkt im vergangenen Jahr vorzustellen gewagt hätte, dass er mit Grace Larsen an seinem Arm seine Schwelle übertreten würde, dann wäre es höchstens nach einer Verabredung gewesen, obwohl er Gott weiß gar keine Verabredungen hatte. Trotzdem gestattete er es sich von Zeit zu Zeit, ein wenig zu träumen. Wer sollte es schon erfahren? Also hatte er sich ein nettes Abendessen in den Privaträumen eines eleganten Restaurants vorgestellt, danach vielleicht noch ein Drink in einem privaten Jazzclub, und dann: nach Hause.
Nach Hause. Nur in den tiefsten Tiefen der schlaflosesten Nächte gestattete er sich, sich Grace in seinem Heim vorzustellen. Er brachte niemals Frauen hierher. Dies war seine Zuflucht.
Es existierte noch ein anderes Luxusapartment in einem anderen Gebäude, in das er seine Frauen brachte. Dies war etwas kleiner, da er dort nicht lebte, sondern nur fickte. Anonym wie ein luxuriöses Hotelzimmer, was in Ordnung war, da auch die Frauen anonym waren. Gut, um seinen Spaß zu haben, aber das war’s dann auch schon. Er hatte nur selten zweimal Sex mit derselben Frau. In letzter Zeit war es ihm das Sicherheitsrisiko einfach nicht mehr wert gewesen und er hatte stattdessen seine Hand eingesetzt. Und selbst das war selten geworden.
Er hätte gedacht, dass sein Sexualtrieb vorzeitig den Geist aufgegeben habe, wenn nicht in dem Moment, in dem er einfach nur Grace Larsens zerrissene Jacke berührt hatte, bloß in dem Wissen, dass sich darunter ihr Arm befand, sein Schwanz gezuckt hätte. Wenn er nicht gerade erst verdammt viel Blut verloren hätte, hätte dies eine ausgewachsene Erektion ausgelöst.
Grace drehte sich zu ihm um, ihr schöner Mund bildete ein perfektes O. Sie hielt seinen Arm fest, als ob sie bereit wäre, sein ganzes Gewicht zu tragen, sollte er zusammenbrechen, auch wenn sie dazu niemals in der Lage war. „Sie müssen sich setzen, während ich einen Krankenwagen rufe. Wir hätten sofort ins Krankenhaus fahren sollen, ich weiß gar nicht, warum wir Sie erst hierher gebracht haben, Sie haben so viel Blut verl…“
Das Klingeln in seiner Hose ließ sie mitten im Satz innehalten. Drake legte einen Finger auf ihren Mund, während er mit der anderen Hand sein Handy herauszog. Er klappte es auf und verzog das Gesicht
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