Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit
„Leben Sie allein?“
Sie wirkte erst verwundert, dann unsicher. „Ja, ich … ich lebe allein.“ Offenbar sprach sie es nicht gerne aus.
Braves Mädchen , dachte Drake. Erzähle niemandem von deinem Privatleben.
Außer ihm. Er würde sich eher selbst die Kehle herausreißen, als ihr wehzutun. Noch wusste sie das nicht, aber das würde sie noch.
„Sie haben da ein paar ziemlich hässliche Wunden am Kopf“, sagte Ben. „Ich glaube nicht, dass Sie eine Gehirnerschütterung haben, aber die Hand würde ich dafür nicht ins Feuer legen. Ich denke, Sie sollten noch eine Weile hierbleiben, nur zur Beobachtung. Hier wird man sich um Sie kümmern.“ Er warf Drake einen Blick zu, der den Kopf leicht neigte, während er amüsiert feststellte, dass Ben sie bereits unter seine Fittiche genommen hatte.
Drake sprang von der Krankenhausliege, ging zu Grace hinüber und trat so dicht vor sie, dass sie nach oben sehen musste, aber nicht so dicht, dass es sie beunruhigen könnte. Mit argwöhnischer, erschöpfter Miene hob sie ihr Gesicht, um in seines zu sehen.
„Ich habe Essen für uns bestellt“, sagte er sanft. Er streckte die Hand aus und streichelte mit dem Rücken seines Zeigefingers über ihre Wange. Ihre Haut fühlte sich unglaublich weich an, aber auch eiskalt. Sie stand unter Schock.
Drake blickte in ihre meergrünen Augen, erstaunt, was er dort alles sah: Schmerz, Schock, Trauer. Das war zu erwarten. Aber andere Emotionen, mit denen er gerechnet hatte, fehlten.
Kein Hass, keine Feindseligkeit, obwohl sie eben erst seinetwegen einen Freund verloren hatte, sie bedroht und auf sie geschossen worden war.
Aber vor allem sah er in ihren traurigen, müden Augen nicht die geringste Spur von Berechnung. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihn eine Frau zum letzten Mal angeblickt hatte und den Mann und nicht ein wandelndes Bankkonto gesehen hatte.
Sie hatte den Wagen gesehen, die Männer, die ihm unterstanden, Teile seiner Wohnung, inklusive einer Privatklinik. Sie hatte natürlich noch längst nicht alles gesehen, aber genug, um zu wissen, dass er … über gewisse Ressourcen verfügte. Nichts davon schien Eindruck auf sie gemacht zu haben. Während Ben ihn zusammengeflickt und er sich vor den Schmerzen in sich selbst zurückgezogen hatte, hatte ihre schlanke Hand, die in seiner ruhte, ihn geerdet. Er hatte tatsächlich die menschliche Verbundenheit der Solidarität gespürt, die von ihr ausging, den Trost, den sie sich bemühte, ihm zu spenden.
Drake konnte sich nicht erinnern, wann ihm zum letzten Mal jemand hatte Trost spenden wollen. Sicherlich hatte keine Frau in seinem Leben jemals versucht, ihm irgendetwas zu geben, aber am allerwenigsten Trost. Sie alle wollten etwas von ihm, je größer und leuchtender und glänzender, desto besser.
Mit einem Mal wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, sie war verletzt und ihr war kalt, aber schon ihre bloße Nähe schien seine Denkprozesse zu verlangsamen, ließ ihn zu einem schwerfälligen Tölpel werden. Er konnte es nicht ertragen, sie so zu sehen, traurig und voller Schmerz. Sie fiel jetzt unter seine Verantwortung. Er musste beginnen, sich um sie zu kümmern.
„Ich muss nach Hause“, flüsterte sie. Ihr Blick suchte den seinen. Er wusste nicht, wonach sie Ausschau hielt. Nach seiner Erlaubnis? Oder nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass er ihr Böses wollte?
„Grace“, sagte er. „Darf ich Sie Grace nennen? Ich hörte, dass Sie Ben Ihren Namen nannten.“
Als ob er ihren Namen nicht kennen würde. Als ob er nicht in seinen Geist eingraviert wäre.
Sie nickte mit aufgerissenen Augen.
„Also gut, Grace.“ Drake holte langsam und tief Luft, ein Auftakt für das, was er ihr jetzt sagen musste. Er würde ihr nur einen kleinen Teil der Wahrheit erzählen, aber selbst das würde für sie nur schwer zu verkraften sein. Die ganze Wahrheit würde sie vernichten. Er musste sie ihr in den nächsten Tagen in kleinen Portionen beibringen. „Ich denke, Sie sollten ein Weilchen hier bei mir bleiben. Bis wir wissen, dass es für Sie sicher ist, nach Hause zurückzukehren.“ Ihre Augen weiteten sich. „Die Männer, die hinter mir her waren, können mit Leichtigkeit herausfinden, wo Sie wohnen. Sie könnten jederzeit bei Ihnen auftauchen und das werden sie wahrscheinlich auch.“
Er ließ es so klingen, als ob es nur eine Vermutung wäre, während er sich dessen vollkommen sicher war. Niemand würde so eine Aktion
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