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Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit

Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit

Titel: Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Marie Rice
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müssen, wo er genügend Geld sparen konnte, um irgendwann sein eigenes Restaurant zu eröffnen.
    Er wusste genau, was er wollte. Er hatte schon seit einiger Zeit ein Auge auf die Räumlichkeiten geworfen. Ein kleines Restaurant, keine hundert Quadratmeter, in Chelsea. Er würde es wie das Esszimmer in Tolstois Stadthaus einrichten und prärevolutionäre franko-russische Haute Cuisine servieren – die Speisen der Zare und Barone, ehe die sowjetischen Ungeheuer Mütterchen Russland geplündert hatten.
    Die Petrows hatten dem Adel von Sankt Petersburg angehört. Das Familienvermögen und beinahe alle Familienmitglieder waren unter Stalin vernichtet worden.
    Aber irgendwie hatten einige Bücher und Fotos die Ungeheuer überlebt und waren dem letzten Petrow vererbt worden. Auf diese Weise hatte Andrej Zugang zu dem Leben seiner Vorfahren gefunden. Wenn es auch nur ein jämmerliches Zimmerchen war, in dem er seine Bücher las und die Fotos betrachtete, mit Sperrholzwänden, die nichts von dem zurückhielten, was seine betrunkenen Nachbarn sagten oder taten, und wenn er auch im dritten Stock eines winzigen, beengten Hauses ohne Fahrstuhl in Brighton Beach wohnte – das war nicht sein wirkliches Leben. Sein Leben fand an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit statt. In seiner Fantasie war Andrej Prinz Petrow, ein Grande im Sankt Petersburg des neunzehnten Jahrhunderts.
    Er lebte am Nevsky Prospekt in einer palastartigen Villa im italienischen Stil, die einmal das Stadthaus seines Ururgroßvaters gewesen war. Als junger Mann, ehe seine Eltern ausgewandert waren, hatte er oft auf der Straße gestanden, die kleinen Hände um die Gitter des kunstvollen schmiedeeisernen Zaunes gelegt, der das Gebäude umgab, und sich vorgestellt, das Haus, in dem sich jetzt das Staatsarchiv befand, gehörte immer noch ihm. Die Villa des Prinzen Petrow.
    Er kannte jede Einzelheit aus dem Leben seines Ururgroßvaters. Die Anzahl der Diener, Kutschen und Pferde, von denen jedes einen eigenen Stallknecht besaß. Der Terminkalender war gefüllt mit Bällen und Konzerten und Partys. Die ausgeklügelten Mahlzeiten, bei denen fünfzig Gäste von dem tausendteiligen Porzellanservice mit Goldrand aus Limoges speisten.
    Und dann das Essen! Zufällig war er auf einige Speisekarten für Mahlzeiten in der Vorweihnachtszeit des Jahres 1904 gestoßen und dem kleinen Jungen war von so viel Großartigkeit ganz schwindelig geworden. Es gab Borschtsch und Kwas, kholodets , Pelmeni, zwanzig verschiedene Arten von Piroggen, Kebabs aus Wild, das auf dem Land der Petrows gejagt worden war, sudak , die aus den Teichen der familieneigenen Datscha auf dem Lande stammten. Dazu Früchte und Beeren, die die Leibeigenen gesammelt hatten, eine riesige Scharlotka, die auf einem sechzig Zentimeter langen silbernen Tablett serviert wurde, das vier Bedienstete tragen mussten. Heruntergespült wurde das Ganze mit dem feinsten aus Frankreich importierten Champagner. Fünfzig Gäste – einhundert Diener.
    Bei diesen Bildern floss das Herz des jungen Andrej über. Russlands Elite am Tisch der Petrows im Kerzenschein, ein Quartett, das Mozart spielte, auf dem Balkon über dem riesigen, mit unzähligen Spiegeln geschmückten Saal, eine ganze Armee von Dienern in Livree, die schweigend die High Society bedienten.
    Seine Eltern beantragten die Erlaubnis, nach Amerika auszuwandern, als er elf Jahre alt war. Er dachte, dass Amerika ja vielleicht der Ort wäre, wo er zu so viel Geld kommen würde, dass er im Triumphzug nach Russland würde heimkehren können, wo die Petrows dann ihren rechtmäßigen Platz unter den Reichen und Mächtigen einnehmen würden.
    Aber so war es nicht. Andrejs Vater, ein Ingenieur, fand nur als Taxifahrer Arbeit und schuftete vierzehn Stunden am Tag für eine Firma, die ihm einen Hungerlohn zahlte. Andrejs Mutter bekam Brustkrebs und die beiden Petrow-Männer mussten hilflos zusehen, wie sie einen schnellen, schmerzvollen Tod starb.
    Als sie sie begruben, starb auch Petrows Vater, wenn auch nicht sein Körper. Er konnte vor Kummer kaum noch arbeiten. Also lag es nun bei ihm, Andrej, inzwischen Andrew. Seine Schultern mussten die Bürde der Petrows tragen.
    Was für großartige Träume er über seine Rückkehr ins Vaterland gehabt hatte, Träume, die ihm wie ein unausweichliches Schicksal erschienen waren. Ein Petrow, der die Tradition nach siebzig Jahren sowjetischer Barbarei fortführen würde. Doch mit jedem Jahr, das verging, wurde er größer und seine

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